Neuntausendfünfhundertzweiundneunzig Seiten: Ganz geschafft hat Hans-Rainer Schmid die 10.000 nicht. Einen Schlussstrich zieht er an dieser Stelle dennoch. Nach über 20 Jahren findet die Buchreihe „Was isch’n früer gwea?“ des Nattheimer Heimatforschers mit ihrem 50. Band ein Ende. Die Reichstraße von Leipzig nach Zürich im 15. und 16. Jahrhundert sowie die Markung Nattheim anno 1684 – damit befasste sich der letzte Band der Buchreihe. Dabei hatte Schmid ursprünglich gar nicht geplant, eine ganze Serie zu verfassen.
„Die ersten zwei Bände waren eigentlich Sammelberichte, gesammelte Aufsätze. Doch dann bin ich heiß darauf geworden“, erinnert sich der Nattheimer und lacht. Von da an durchforstete Schmid sowohl das Gemeinde- als auch das Kirchenarchiv, er las und transkribierte unzählige Schriften und Dokumente, die dort ihr Dasein fristeten.
Erst mit dem dritten Buch entstand der Gedanke, die gesammelten Informationen nach Themen zu kategorisieren, stets mit der Geschichte der Gemeinde Nattheim im Fokus. Erzählen tut Schmid diese bis zum Jahr 1930. „Da hört Heimatforschung zwar nicht auf – für mich allerdings schon.“ Der Grund dafür ist simpel: „Um die Geschichte Nattheims im Zweiten Weltkrieg aufzuschreiben, dafür bin ich viel zu emotional.“ Und es gibt einen weiteren Grund für die unsichtbare Grenze: Viele personenbezogene Daten aus dieser Zeit stehen laut Hans-Rainer Schmid auch heute noch unter Datenschutz, selbst wenn die Betroffenen schon längst verstorben sind.
Heimatforschung bedeutet für den 83-Jährigen nicht nur das Stochern in der Vergangenheit. Heimatforschung stellt vielerlei Fragen: Wo kommen wir her? Wo stehen wir? Und wo gehen wir hin? „Es geht dabei immer auch darum, die heutigen Zustände zu hinterfragen“, erklärt Schmid. Für diese heutigen Zustände, insbesondere im Vergleich zur Vergangenheit, hat Schmid wenig positive Worte übrig.
Hans-Rainer Schmid: 28 Jahre lang Gaunaturschutzwart
Die Zerstörung der Natur, der Rückgang der Artenvielfalt, der Flächenfraß – auch der in der Gemeinde Nattheim: Für den leidenschaftlichen Natur- und Landschaftsschützer Hans-Rainer Schmid, der 28 Jahre lang Gaunaturschutzwart war, sind diese Entwicklungen besonders schlimm. Speziell den zunehmenden Verkehr und den durch Baugebiete verursachten Landschaftsverbrauch bezeichnet der geborene Stuttgarter als „Krebs“. Und doch: „Ich will nicht schwarzmalen, sondern realitätsbewusst sein“, beteuert Schmid.
Bei so viel Negativem stellt sich unweigerlich die Frage, warum der Nattheimer sich dennoch seit 1996, sprich seit seinem Ruhestand, regelmäßig nicht nur weiterhin für Heimatforschung motivieren, sondern sogar dafür begeistern kann. „Mir macht es wirklich Spaß. Und dabei kann mir niemand dumm neischwätza“, ergänzt Schmid und lächelt. Auch sein Glaube sei immer Anreiz und Ansporn dafür gewesen, die eigenen Wurzeln zu erkunden.
Und in der Tat: Eine der wohl schönsten Erkenntnisse seiner Recherchen in den Archiven ist, dass das Geschlecht der Schmids bereits seit 1756 in der Region zu Hause ist. Über einen seiner frühen Vorfahren ist Schmid eher zufällig gestoßen. In Gedenken an seinen Stammbaum hat der Nattheimer ein eigenes Familienwappen erstellt, das speziell die Berufe seiner Ahnen ehrt, darunter Müller, Schreiner, Bauer und Erzknappe.
Obwohl Schmid in seinem Berufsleben bei Voith unzählige Länder bereist hat, sei er stets gerne nach Hause gekommen. Nach Hause, das ist eben Nattheim. Trotz schwindender Artenvielfalt fühle er sich immer noch im Wald wohl, jeder Frühling bereite ihm Freude. „Geknickt bin ich nicht. Ich habe lange für den Naturschutz gekämpft und kann in den Spiegel schauen.“
Bundesverdienstkreuz am Bande für Nattheimer
Auch wenn er es nicht der Ehre wegen mache, so wurde Schmid für sein Werk dennoch mehrfach ausgezeichnet, etwa 1999 mit dem Landespreis für Heimatforschung oder 2006 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande.
Die Reihe „Was isch’n früer gwea?“ mag offiziell beendet sein, Hans-Rainer Schmid denkt jedoch nicht ans Aufhören. Als Nächstes hat er sich die Staatsarchive vorgenommen. Seine Erkenntnisse will er auch weiterhin schriftlich festhalten, allerdings in Form von Sammelberichten, die über die Archive selbst einsehbar und nicht länger in Buchform veröffentlicht werden sollen.
Heimatbücher im Rathaus Nattheim erhältlich
50 Bände der Reihe „Was isch’n früer gwea?“ sind aus der Feder von Hans-Rainer Schmid erschienen. Der erste Band trägt den Titel „Geschichten aus der Kunkelstube“, der finale Teil heißt „Reichstraße von Leipzig nach Zürich, Markung Nattheim 1648“. Darüber hinaus hat Schmid fünf Bände der Reihe „Eine Kulturlandschaft verändert ihr Gesicht“ veröffentlicht. Die Bücher können beim Bürgeramt im Nattheimer Rathaus erworben werden.