8 Uhr morgens, das Thermometer zeigt knapp zwei Grad. Es ist knackig kalt heute. Zudem weht ein eisiger Wind. Die Kinder des Kindergartens Abraxas in Steinweiler sind gut eingepackt. Jacke, Mütze, Matschhose, Schal: Wie kleine Zwerge machen sie sich heute früh auf den Weg in „ihren“ Wald.
Hand in Hand geht es den Weg entlang, raus aus dem Dorf, hoch in den Forst. Hier hat der Abraxas ein Waldstück von der Auernheimer Waldgenossenschaft zur Verfügung gestellt bekommen. Nach und nach werden die kleinen Kinderfüße schwer. Die Motivation der Erzieherinnen tut gut auf den letzten Schritten.
Montag bis Mittwoch gehts in den Wald
Gut zwanzig Minuten laufen die Kinder zu ihrem Wäldchen. Einfach. Diesen Weg nehmen sie in der Regel bis zu dreimal in der Woche auf sich. Denn Montag bis Mittwoch ist Waldtag. Und wann immer das Wetter es zulässt, wird das auch umgesetzt. Ein Teil der Kinder kommt direkt am Waldrand zum Treffpunkt, das geht auch.
Der Kindergarten Abraxas wurde vergangenes Jahr reaktiviert. Der Bedarf an Betreuungsplätzen war da, die Gemeinde musste handeln. So war die Idee aufgekommen, den stillgelegten Kindergarten wiederzubeleben. Eine nicht unübliche Praxis, auch in anderen Kommunen.
Ein Kindergarten mit „naturbezogenem Konzept“
Im Oktober vergangenen Jahres öffnete der Abraxas dann wieder seine Türen. Mit neuem Personal und neuem Konzept. Fortan sollte hier ein Kindergarten mit „naturbezogenem Konzept“ betrieben werden, wie es offiziell heißt.
Praktisch bedeutet dies: Die Kinder lernen viel in und von der Natur, gespielt und gelernt wird in festem Rhythmus im Wald. Auch der benachbarte Steinbruch kann genutzt werden. Die übrige Zeit und bei unpassendem Wetter wird in den Räumlichkeiten im Dorfgemeinschaftshaus gespielt. Und natürlich im Garten.
Heute hält das Wetter. Der bange Blick in den Himmel aber bleibt. „Martina, die Bäume wackeln“, ruft ein Kind der Erzieherin zu. Alle Köpfchen recken sich zu den Baumwipfeln. Stimmt. Die Erzieherinnen nutzen verschiedene Wetterdienste und entscheiden flexibel, ob Waldtage sinnvoll sind. Bei Minusgraden, zu viel Regen oder bei starkem Wind muss umgeplant werden. Zimperlich sind sie aber nicht.
Im Wald ist Einfallsreichtum gefragt
Im Wald angekommen, wird es direkt windstiller, gleich fühlt man sich ein wenig geborgen. Über Stock und Stein geht es zum Bereich der Abraxas-Kinder. Hier hat sich die Gruppe eingerichtet.
Es gibt Haken für die Rucksäcke, mehrere Sitzgelegenheiten, ein Tipi-Zelt aus Ästen, eine eigens von Vätern gebaute Matschküche, eine Outdoor-Toilette und einen Händewaschplatz – improvisiert mit Kanister und Zinkwanne. Die kleinen Handtücher zum Abtrocknen hängen an einem Seil, das von Baum zu Baum gespannt ist. Ein Leben im Wald erfordert Einfallsreichtum.
Freiheit sollen die Kinder hier erleben, sich in einer reizarmen Umgebung individuell entwickeln und die eigene Kreativität ausleben. Schlagwörter, die heute die Gesellschaft und auch die Pädagogik prägen.
Was kann ein Wald, was ein Gruppenraum nicht kann? Martina Hörger ist die Natur- und Waldpädagogin im Abraxas-Kindergarten und sagt: „Im Wald erfahren die Kinder mit allen Sinnen, es ist eine ganz andere Kulisse, hier erleben sie trotz der herrschenden Regeln unheimlich viel Freiheit. Der Wald tut Körper und Seele gut.“ Das, so sagt Leiterin Stephanie Henley, komme vielen, gerade recht aktiven Kindern zugute. Zwar sei nicht jedes Kind für den Wald gemacht, doch: „Unsere Kinder profitieren von beiden Seiten, vom Wald und vom Kindergarten im Dorfgemeinschaftshaus“, ergänzt die Kindergarten-Leiterin.
Kinder sollen ein Natur- und Umweltbewusstsein entwickeln
Wer im Wald verweilt, lernt ihn kennen – und im besten Fall auch schätzen. Hier muss man Regeln beachten. Und diese werden fleißig geübt. So wissen die Kinder unisono: „Nichts in den Mund stecken“ oder „Tote Tiere darf man nicht anfassen“ und „Müll muss man wegräumen“. Das sitzt.
Das alles soll das Natur- und Umweltbewusstsein fördern. Und ein Gefühl für die natürlichen Ressourcen etablieren. „Wir haben hier nur Wasser im Kanister, die Kinder lernen, dass wir es einteilen müssen, dass es begrenzt ist und nicht unendlich zur Verfügung steht“, sagt Martina Hörger. Das ist nur ein Beispiel.
Tierspuren lesen und dem Gesang der Vögel lauschen
Es geht auch um ganz praktische Dinge – um Spuren von Tieren, um den Unterschied zwischen Kiefer und Fichte und den Gesang der Waldvögel. Und darum, sich mit den Dingen, die zur Verfügung stehen, zurechtzufinden. „Manchmal liegen wir hier auf dem Boden und hören einfach nur“, sagt Stephanie Henley. Am wichtigsten aber findet sie, dass Kinder und Erzieherinnen zusammen lernen und wachsen können, denn: „Wir wissen ja auch nicht alles. Am besten ist es, Impulse der Kinder aufzunehmen.“
Besonders eifrig dabei sind die Kinder auch, wenn die Erzieherinnen Verseilungen aufbauen – Wackelbrücken, über die dann balanciert werden muss. Hängematte und Waldschaukel sind auch sehr beliebt, hier kann sich zur Ruhe gewogen werden. Der Wald bietet viele Möglichkeiten, Kinder motorisch zu fördern.
Nach Vesper, Morgenkreis im Moosduft und Freispiel geht’s wieder zurück ins Dorfgemeinschaftshaus. Um 13.30 Uhr ist Abholzeit.
Betreuungsplätze im Abraxas
Der Kindergarten Abraxas hat Platz für zwölf Kinder. Eine Überbelegung bis zu vierzehn Kindern ist seitens der Gemeinde gestattet. Aktuell werden neun Kinder im Abraxas betreut. Aufgenommen werden Kinder ab drei Jahren. Die Betreuungszeit ist von 7.30 bis 13.30 Uhr. Übrigens: Der Abraxas sucht eine Anerkennungspraktikantin – im Idealfall mit Waldaffinität.