Regen, Regen, Regen – und trotzdem zu trocken? Das sagt der Gerstetter Pilzexperte Georg Schabel
Schmuddelwetter. Und das seit Tagen, mitten im August. Da können schon mal herbstliche Gefühle aufkommen – und mit ihnen der Gedanke ans Pilzesammeln. Bei so viel Regen müsste die Saison doch einen Frühstart hinlegen oder etwa nicht? Ein Anruf bei Georg Schabel in Gerstetten soll Klarheit bringen: „Wie sieht’s aktuell aus in den Wäldern?” Sofort fängt der Pilzexperte an zu erklären, Mikroklima, Wind, Verdunstung, Pfifferling, Marone, Laubwald. Dann eine kurze Pause. „Haben Sie ein bisschen Zeit?“, fragt Schabel. „Dann fahren wir in den Wald und ich zeig’ Ihnen, was die Pilze machen.“
Es ist noch früh, aber hier müsste jetzt schon was stehen.
Georg Schabel, Pilzexperte
Einen Tag später an den Wagnersgruben bei Nattheim. Mal ist es trocken, mal setzt leichter Regen ein. Passendes Wetter also für einen Spaziergang durch den Wald. Auf den ersten Blick ist pilztechnisch nicht viel los. „Es ist noch früh, aber hier müsste jetzt schon was stehen“, sagt Georg Schabel. Vor allem hier: Das Areal rings um die wassergefüllte Bohnerzgrube ist ein besonderes Pilz-Habitat, in dem auch seltene und geschützte Arten wachsen. Der Königsröhrling zum Beispiel, der in Baden-Württemberg nur noch an wenigen Standorten vorkommt. „Dieses Jahr hat er sich noch nicht gezeigt“, sagt Schabel, der regelmäßig an den Wagnersgruben vorbeischaut.
Warum eine Benjes-Hecke die Nattheimer Wagnergruben schützt
Das Gebiet liegt dem Pilzexperten besonders am Herzen: Auf seine Initiative hin wurde es vor drei Jahren vom Landratsamt aus der forstwirtschaftlichen Nutzung herausgenommen. „Das ist mir hier zum ersten Mal gelungen“, sagt Schabel. „Die halbe Pilzwelt beneidet mich darum.“ Auch um die Benjes-Hecke aus Totholz, die das besondere Habitat seither vor zu vielen Spaziergängern und zu viel Wind schützt. „Das Pilzgeflecht in der Erde ist sehr fein“, begründet Schabel, auf Bodenverdichtung reagiert es entsprechend empfindlich. Das wachstumsfördernde Mikroklima dicht über dem Boden, das auch durch die Verdunstung von Wasser entsteht, nimmt wiederum durch Windböen Schaden.
Dass nach all den regenreichen Tagen trotzdem nur so wenige Pilze zu sehen sind? „Es ist zu trocken “, sagt Schabel, während seine Augen suchend über den mit Laub bedeckten Boden wandern. „Pilze bestehen ja zu 90 Prozent aus Wasser. Wir bräuchten jetzt auf der Alb noch mindestens 100 bis 200 Liter.“ Beim Blick auf das feuchte Blattwerk am Boden kann man das kaum glauben. Aber egal ob Schabel mit einem Stock die obersten Erdschichten abgräbt oder mit der Hand ein Mooskissen herauslöst: Die Erde, die zwei bis drei Zentimeter unter der Oberfläche zum Vorschein kommt, ist tatsächlich alles andere als nass. Zwar nicht staubtrocken, aber eben doch sehr krümelig. „Tiefentrocken“, sagt Schabel.
Klimawandel: Leiden die Pilze im Landkreis Heidenheim?
Stichwort Klimawandel. „Ja, wir sind davon betroffen“, sagt Schabel und erwähnt seine jahrzehntelangen Wetteraufzeichnungen. Nicht nur die Regenmenge habe abgenommen, auch sei es seinen Messungen zufolge in den vergangenen Jahren deutlich wärmer geworden. Dieses Jahr ist aus Sicht des Pilzexperten ebenfalls speziell: „Ich habe noch nie einen so stürmischen Sommer nach einem derart kalten Frühjahr erlebt.“ Das für Pilze günstige Mikroklima werde quasi weggepustet. Und ein Großteil des Regenwassers versickere im karstigen Untergrund auf der Alb ohnehin schnell.
Bleibt die eine Frage, die sich jetzt vermutlich alle Hobby-Pilzsammler stellen: Kann es in den Wäldern rum um Heidenheim trotzdem noch eine gute Saison werden? Entwarnung von Schabel: „Ja, natürlich“ – weiteren Regen und das Ausbleiben früher Nachtfröste vorausgesetzt. „Dann kann die Saison bis in den November hinein gehen“, sagt Schabel und erinnert ans vergangene Jahr. Damals hatte sich das „schlechteste Pilzjahr“ aller Zeiten (Ende August) dann doch noch in ein „super Pilzjahr“ (Anfang Oktober) verwandelt. Alles immer nur eine Momentaufnahme.
Auch der Spaziergang rund um die Wagnersgruben bei Nattheim endet letztlich mit einer besseren Ausbeute als anfangs gedacht: mehrere hochgiftige Grünen Knollenblätterpilze, die vor allem aus Expertensicht spannend sind. Außerdem drei kleinere Steinpilze, zwei Parasole und eine Handvoll anderer essbarer Pilze. Für ein Abendessen reicht’s. Oder um es mit Georg Schabels Worten zu sagen: „Momentan ist es eben mehr Pilze suchen als Pilze finden.“
Früher Sport, jetzt Pilze
Georg Schabel, gelernter Schlosser im Ruhestand, ist Pilzsachverständiger bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie (DGfM). Außerdem nimmt er Giftnotrufe entgegen. Zu seinem Hobby kam der Gerstetter, nachdem er wegen einer Zwerchfelllähmung keinen Sport mehr betreiben konnte. „Ich habe damals mehrmals die Woche trainiert“, sagt Schabel, Sommerbiathlon, Berglauf, Marathon. Dann kam die Erkrankung und plötzlich ging nichts mehr. Dass ihn damals ein Nachbar fragte, ob er mit ihm einen Kurs an einer Pilzschule besuchen möchte, kam da gerade recht. Nach dem langen Wochenende im Schwarzwald war es um Schabel geschehen: „Wenn mir etwas gefällt, hänge ich mich richtig rein.“ Es folgten also weitere Kurse und 2003 schließlich die Prüfung zum Pilzsachverständigen. „Pilze sind einfach faszinierende Lebewesen und saumäßig eigenwillig. Sie sind vielfältig, schön, mystisch und gefährlich.“
Apropos gefährlich: Kann man einen Pilz nicht zu 100 Prozent bestimmen, empfiehlt Schabel, vor dem Verzehr einen Pilzsachsverständigen zu Rate zu ziehen. Wichtig für die Pilzberatung sei aber, bekannte und unbekannte Pilze voneinander zu trennen, so dass kein Fragment eines möglicherweise giftigen Pilzes bei den Essbaren landet. „Die Leute reagieren teilweise schon auf Kleinigkeiten“, sagt Schabel. Zudem empfiehlt der Pilzexperte, stets ein kleines Tortenstück aus dem Hut sowie die Stilbasis aufbewahren. Das erleichtert die Bestimmung im Vergiftungsfall. Allerdings dürfe man dann natürlich nicht vergessen, das Material sowie die Putzreste ins Krankenhaus mitzunehmen. Im schlimmsten Fall muss zur Untersuchung auch das Erbrochene herhalten.