Marc schält sich Mandarinen, während Felix langsam den Flur entlanggelaufen kommt. Christina ist heute noch bei der Arbeit, Steffen sitzt am Tisch und Sarah ist auf dem Zimmer. An der Wand sind Whiteboards mit Arbeitsplänen, es hängen Fotos von gemeinsamen Feiern, am Kühlschrank ist die Einkaufsliste. Dartscheibe und Tischkicker stehen bereit. Normales WG-Leben.
Doch die Bewohner hier sind besondere Bewohner. Sie haben Trisomie 21 oder andere geistige Beeinträchtigungen. Körperlich sind sie weitgehend fit – und fürs selbstständige Leben haben sie sich fit gemacht.
Weitgehend selbstständig: eine besondere WG in Nattheim
Seit 2012 gibt es diese besondere WG in Nattheim. Eine WG, die es Menschen mit Beeinträchtigungen möglich macht, weitgehend selbstständig zu leben. Die Initiative kam damals von privater Seite. Eltern hatten nach einem entsprechenden Konzept gesucht – und selbst in den Bau investiert. Träger ist die Reha Südwest Ostwürttemberg-Hohenlohe, eine gemeinnützige Einrichtung der Jugend- und Eingliederungshilfe.
Während die oberen beiden Wohnungen privat vermietet sind, verwaltet Reha-Südwest das barrierefreie Untergeschoss, vermietet die Zimmer weiter und stellt die pädagogische Begleitung, sodass sich die Bewohner selbstbestimmt im Alltag zurechtfinden können.
Leuchtturm-Projekt und gelebte Inklusion
So wohnen seit 2012 fünf junge Menschen in Nattheim. Sie sind zwischen 34 und 49 Jahre alt. Vier davon sind quasi von Anfang an dabei. Als „Leuchtturm-Projekt“ war es bei der Einweihung gelobt worden, als „gelebte Inklusion“. Heute im Rückblick muss man sagen: Das Konzept hat sich bewährt. Die Bewohner haben sich eingelebt. Die WG gehört zu Nattheim. Zum ganz normalen Leben.
Die Bewohner haben sich wirklich unheimlich toll entwickelt.
Nicole Profendiener-Vetter, begleitet die Bewohner
Und wenn man die Bewohner fragt, gibt es auch eindeutige Antworten: „Ich fühle mich wohl“, sagt Felix und lächelt. Er genießt es, sich in seinem eigenen Reich zurückziehen zu können, Musik zu hören, „machen zu können, was ich will“. Sarah gibt zu, manchmal Heimweh zu haben. Dass die Eltern nur wenige Minuten entfernt wohnen, tut gut. Und wenn man nicht allein sein will, gibt es ja immer die Möglichkeit, Gemeinschaft zu erleben. Beim Kochabend in der WG, bei Spieleabenden, bei gemeinsamen Ausflügen.
Der Alltag ist eingeübt, getaktet
„Die Bewohner haben sich wirklich unheimlich toll entwickelt“, sagt Nicole Profendiener-Vetter. Sie ist seit dem ersten WG-Tag dabei und kennt den Alltag der Bewohner. „Sie sind hier gewachsen und genießen das auch sehr“, ergänzt sie. Wo anfangs überall Wecker mit Zettelchen als Erinnerungsstützen standen, läuft der Alltag heute relativ reibungslos. Aufstehen, fertigmachen, Arbeit, einkaufen, Essen machen, Wäsche waschen: Die Bewohner organisieren sich in ihrem Alltag. Das schafft Zufriedenheit. Und neues Selbstvertrauen.
Gelebte Inklusion in Nattheim
Ein fester Rhythmus hilft. Jeder Bewohner hat seine Dienste, gemeinsam geht’s zum Einkaufen und Dienstag ist Kochtag. Montags bis donnerstags ist ab 15.30 Uhr ein Betreuer im Haus, schaut nach dem Rechten, gibt Anleitung. Freitags wird mit Begleitung fürs Wochenende vorgekocht und am Samstag und Sonntag sind die Bewohner auf sich allein gestellt.
Die Betreuer versuchen, immer neue Ziele zu definieren. Wer kann sich wie entwickeln, wo geht noch ein Stückchen mehr in Richtung Selbstständigkeit? „Das ist sehr individuell, aber unheimlich wichtig“, sagt Nicole Profendiener-Vetter. Sie und ihr Kollege Carsten Treide sind überzeugt vom ambulant betreuten Modell. Treide sagt: „Das ist gelebte Inklusion.“ Konzepte wie diese seien absolut wichtig. Denn Treide weiß: „Häufig kommt es zum Bruch, wenn die Eltern nicht mehr da sind.“ Mehr noch: Hier geht es um Teilhabe, um Freiheit, um persönliche Entwicklung.
Dann räumt Steffen die Spülmaschine aus, Teller für Teller nimmt er vorsichtig heraus. Ein prüfender Blick, dann stellt er sie in den Schrank. Marc schaut nach seinem Essensvorrat und Sarah zieht sich zurück ins Zimmer. Felix checkt mit Carsten Treide die Einkaufsliste. Dann machen sie sich auf den Weg zum Wocheneinkauf. Ganz normal. So wie andere Menschen auch.
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