Veranstaltung

Welche dokumentierten Geschichten das Fleinheimer Dorfarchiv beherbergt

Im Rahmen der Heimattage organisierte die Fleinheimer Chronikgruppe eine gemeinsame Lesung aus historischen Schriften des Dorfarchivs. Dabei wurden heitere, aber auch traurige Erkenntnisse gewonnen.

Eine gewisse Johanna Borst - so schrieb im „Nebelung“ (November) des Jahres 1934 Martin Lanzinger, Schultes der seinerzeit selbständigen Gemeinde Fleinheim, ans Oberamt Heidenheim - möge wegen „erschwerter Verfehlungen“ zum „Tode verurteilt“ werden, er bitte um „Genehmigung der Vollstreckung“. Was auf den ersten Blick erschreckend wirkt, wird in der Anfangszeit des Nationalsozialismus zur Bürokratie-Satire, sobald entschlüsselt wird, dass es sich bei Frau Borst um ein Schwein handelte, das geschlachtet werden sollte.

Überhaupt scheint besagter Martin Lanzinger ein ebenso eigenwilliger wie unerschrockener Mann gewesen zu sein. Auch andere Dokumente von ihm wurden vorgelegt und gemeinsam entziffert bei der Heimattage-Veranstaltung „Lesen aus dem Dorfarchiv“ im Fleinheimer Bürgerhaus. Über 25 Interessierte saßen vor alten Schreiben, die unter Anleitung von Brigitte Bayer von der örtlichen Chronikgruppe gelesen, gedeutet und diskutiert wurden.

Lesestoff: Korrespondenz des ehemaligen Fleinheimer Bürgermeisters Martin Lanzinger

Lanzinger beispielsweise ärgerte sich, als er im frühen 20. Jahrhundert immer wieder rote Anmerkungen und Kommentare auf Retouren seiner Schreiben an den Amtmann im übergeordneten Oberamt Heidenheim fand. Seine Reaktion: Fortan gebrauchte er selber rote Tinte. Auf die (erwartbare) Aufforderung, dies zu unterlassen („Mit roter Tinte schreibt nur das königliche Oberamt!“) antwortete er beherzt: „Und der Schultes von Fleinheim auch!“.

Und das Oberamt? War letztlich machtlos. Und fasste schließlich doch noch einmal nach und „ersuchte um eine bessere Schrift“. Was mit dem frechen Zusatz zurückgesandt wurde: „Obiges kann ich nicht lesen“.

Brigitte Bayer von der örtlichen Chronikgruppe, die die Veranstaltung auf die Beine stellte, gab interessante Einblicke in Fleinheims Vergangenheit. Rudi Penk

Man schmunzelt heutzutage entspannt ob der kecken Courage des einstigen Härtsfelder Dorfoberen. Aber was Brigitte Bayer zur kollektiven Lektüre vorlegte, war beileibe nicht durchweg heiterer Natur. Viele der auch auf Leinwand gebeamten Dokumente zeugten von großer Not im bäuerlich armen und verkehrstechnisch abgehängten Dorf.

Fleinheimer Dorfarchiv umfasst 4200 historische Schriften

Bayer stellte das Dorfarchiv vor, das sich im Ortschaftsverwaltungsgebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindet und über 4200 historische Schriften umfasst – die älteste, eine „Heiligenrechnung“ (im protestantischen Fleinheim wohlgemerkt), stammt aus dem Jahr 1623. Die ehrenamtliche Dorfchronikgruppe wurde 2002 gegründet. Sie säuberte und sichtete, ordnete und beschrieb sämtliche Urkunden, die, überzogen vom massiven Schmutz vergangener Jahrhunderte, auf dem Dachboden abgelegt worden waren. 2016 wurde das Archiv aktualisiert. Die ehrenamtlichen Archivare traten, in den vergangenen Jahren freilich gebremst durch Corona, mit zahlreichen Veranstaltungen, Lesungen, Ausstellungen oder Führungen in Erscheinung.

Auf den Tischen im Dorfgemeinschaftshaus lagen jeweils fotokopierte Dokumente sowie Lupen aus. Bayer beschrieb auch überörtliche archivalische Sammlungen und Akteure, beispielsweise sind sämtliche Kirchenbücher im Land bis weit ins 19. Jahrhundert die einzigen Quellen für Geburten und Taufen, Hochzeiten und Sterbefälle. Diese sind ins Stuttgarter „Landeskirchliche Archiv“ ausgelagert, doch digitalisiert und daher von überall zugänglich.

Bei der Lektüre etwa von Eintragungen ins Fleinheimer Taufregister wurde vergegenwärtigt, dass Säuglinge in früheren Jahrhunderten oft ausgesprochen kurzlebig waren und dann meist von den Hebammen einer „Nottaufe“ unterzogen wurden.

In jedem Dokument steckt viel Hintergrund.

Nattheimer Heimatforscher Hans-Rainer Schmid

Anschaulich wurde: Auch hinter scheinbar rein faktischen Eintragungen stecken oftmals anrührende Schicksale. Der höchst produktive, ebenfalls anwesende Nattheimer Heimatforscher Hans-Rainer Schmid sprach für alle Anwesenden, als er feststellte: „In jedem Dokument steckt viel Hintergrund“.

Nach der gemeinsamen Lektüre der vorgelegten Dorf-Dokumente entwickelte sich ein anregendes Gespräch, das viele Facetten einer insgesamt sehr kargen ländlichen Vergangenheit anriss. Bayer gelang ein entspanntes, motivierendes heimatkundliches "Heimattage-Hoirle". Und ein sehr gehobenes noch dazu.

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