Die Lage am Unfallort ist gut erkennbar: Ein Baum ist während eines Sturmes umgestürzt, quer über die Straße gefallen und hat ein vorbeifahrendes Auto getroffen. Der Motorraum des Autos ist eingedrückt, die Türen sind verformt und lassen sich nicht mehr öffnen. Der Fahrer hängt bewusstlos im Sicherheitsgurt. Ganz klar, dass das ein Fall für die Feuerwehr ist.
Der Gruppenführer gibt den Befehl: „Angriffstrupp zur Menschenrettung mit Gurtmesser und hydraulischem Rettungsgerät zum Pkw vor!“ Die Mitglieder des Angriffstrupps folgen dem Befehl, währenddessen bringt ein weiterer Trupp ein Aggregat zur Stromversorgung in Stellung. Der Angriffstrupp schließt einen hydraulischen Spreizer an die Stromversorgung an – und drückt damit die Metallstäbe eines Übungsmodells auseinander.
Eine Übung, nichts weiter. Denn diese Szene ist keinem Einsatz entnommen, sondern der Prüfung beim Silbernen Feuerwehrleistungsabzeichen in Nattheim. Deshalb werden auch keine Autotüren zerstört. Hier geht es nicht um die mögliche Rettung eines Menschenlebens, aber trotzdem um jede Sekunde. Und darum, keine Fehler zu machen.
Denn der Fehlerkatalog ist lang: Bei der vorher beschriebenen Übung „Technische Hilfeleistung“ gibt es über 100 mögliche Beanstandungen, für die Fehlerpunkte vergeben werden können. Das reicht von Abzügen wegen „mangelndem Pflegezustand“ der Einsatzhose bis hin zu „Befehle nicht entsprechend der Reihenfolge Einheit, Auftrag, Mittel, Ziel und Weg gegeben“ oder „Schlauchtrupp verlegt die vom Stativ abgehende elektrische Leitung nicht senkrecht bis zum Boden“.
Für viele Fehler gibt es einen Punkt, für manche bis zu 10. Bei mehr als 50 Fehlerpunkten würde die Technische Hilfeleistung als „nicht bestanden“ gelten. Trotzdem bleibt das Zeitlimit die größte Hürde. Das sagt zumindest Vincent Oberhuber, der kürzlich mit einer gemischten Gruppe der Feuerwehren Heidenheim und Herbrechtingen in Nattheim das Silberne Leistungsabzeichen abgelegt hat.
„Da hat man allen die Anspannung angemerkt“, sagt Oberhuber, der zur Abteilung Großkuchen der Freiwilligen Feuerwehr Heidenheim gehört. „Das war der Tag, an dem nichts schiefgehen durfte. Man hat keine zweite Chance.“ Aus diesem Grund hatte seine Gruppe bereits im März mit dem Training für den Termin im Juli begonnen. Ein bis zwei Mal pro Woche trafen sich die Feuerwehrleute für längere Übungseinheiten, auch, weil die genaue Rolle jedes Einzelnen erst kurz vor Beginn des Leistungsabzeichens ausgelost wird.
Der Trainingsaufwand hat sich offensichtlich ausgezahlt, denn Oberhubers Gruppe konnte die Übung erfolgreich abschließen, mit übriger Zeit auf der Uhr und nur fünf Fehlerpunkten. Auch die 20 anderen Gruppen, die an diesem Tag angetreten waren, schafften ihre Leistungsabzeichen in Bronze, Silber und Gold. Ein Ergebnis, über das sich Oberhuber freuen kann: „Es lief richtig gut, unsere Gruppe hat abgeliefert.“
Aber haben diese Übungen in kontrollierter Umgebung auch einen Nutzen für den realen Einsatz? Oberhuber bejaht das enthusiastisch. „Ich würde das jedem Feuerwehrmitglied empfehlen“, sagt der 29-Jährige. „Man bekommt dadurch eine Routine rein. Und die Sachen, die man dafür übt, muss man auch mitten in der Nacht können, wenn man für einen Einsatz aufsteht.“
Für ihn persönlich sei auch der zweite Teil der Übung sehr nützlich gewesen, sagt Oberhuber, weil er bis jetzt selten bei Bränden im Einsatz gewesen sei. Seine Aussage bezieht sich auf die Leistungsübung „Löscheinsatz“, bei der ein Brand in einem zweigeschossigen Wohnhaus simuliert wird. Für die Übung muss ein Angriffstrupp, ausgerüstet mit Atemschutz, mithilfe einer Leiter ein Gerüst erklimmen und dort mit Wasser aus einem Schlauch eine Fallklappe aktivieren. „Um zu bestehen, muss man sein Equipment kennen und wissen, wie man es optimal einsetzt“, sagt Oberhuber.
Ein weiterer Vorteil des Leistungsabzeichens sei, dass man Feuerwehrleute aus anderen Abteilungen treffen könne, die dafür auch von außerhalb der Region anreisen. „Es ist toll, andere kennenzulernen und zu sehen, dass die auch so arbeiten, wie man es selbst tut“, erklärt Oberhuber. Der 29-Jährige und seine Kameraden scheinen nach der Veranstaltung noch motivierter zu sein als davor. „Fast alle aus der Gruppe haben gesagt, dass sie nun auch noch das Goldene Leistungsabzeichen machen wollen“, sagt Oberhuber. Dafür müssen die Feuerwehrleute zusätzlich zur technischen Hilfeleistung auch eine Person über eine tragbare Leiter retten sowie bei einer schriftlichen Prüfung ihr Fachwissen nachweisen. Die Mühen des Trainings wollen sie gerne auf sich nehmen – weil es sich lohnt.