Belästigung von Jugendlichen

Welche Strafe ein Wiederholungstäter aufgrund sexueller Übergriffe in Nattheim bekommen hat

Ein 61-jähriger Nebenerwerbsbauer aus Nattheim soll im vergangenen Jahr drei Jugendliche unsittlich berührt haben. Welche Strafe das Heidenheimer Schöffengericht verhängte und wieso der Mann nicht zum ersten Mal vor Gericht stand:

Eine Verhandlung im Februar 2010: Angeklagt ist ein Nebenerwerbslandwirt aus Nattheim wegen 40 sexuellen Übergriffen auf Minderjährige, die der Beschuldigte teils im Genitalbereich angefasst haben soll. Das Urteil lautete damals zwei Jahre auf Bewährung. „Die Chancen stehen gut, dass der Landwirt sich nie wieder Derartiges zu Schulden kommen lassen würde“, hieß es in einem Gutachten des Sachverständigen.

14 Jahre später stand der Mann in dieser Woche wieder vor Gericht. Die Anklage war eine ähnliche: sexuelle Belästigung in mehreren Fällen. Er soll im vergangenen Jahr drei männliche Jugendliche unsittlich berührt haben. Gnädig in seinem Urteil war das Heidenheimer Schöffengericht am Ende dieser Verhandlung nicht: Der 61-Jährige wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, diesmal nicht zur Bewährung ausgesetzt, obwohl es lange danach aussah.

Opfer mit schwieriger Vorgeschichte

Das Bild war häufig dasselbe: Da der Landwirt hauptberuflich einer anderen Tätigkeit nachgeht, brauche dieser immer wieder Hilfe auf seinem Hof. Vermittelt durch einen „Kollegen“, wie er ihn nannte, bekam der Beschuldigte auch Unterstützung von Minderjährigen. Diese durften auf dem Hof aushelfen und auch Traktor fahren. Die „Gegenleistung“ fiel derweil unüblich aus: Zwischen März und Oktober des vergangenen Jahres kam es zu fünf bekannten Übergriffen. Der Mann belästigte über und unter der Gürtellinie, fasste den Jugendlichen ans Glied und wich nach Ablehnung nur sehr widerwillig zurück.

Drei junge Männer haben ausgesagt, von dem Mann berührt worden zu sein, zwei davon im Alter von 15 Jahren. Der Dritte, ein 14-Jähriger, soll bereits den Versuch einer Annäherung abgewehrt haben. Daher wurde das Verfahren in dieser Sache rasch eingestellt. Die beiden 15-Jährigen wurden indes teils häufiger berührt, mit Handlungen intensiverer Art. Dem zweiten Geschädigten soll der Landwirt stets ruckhaft die Vorhaut seines Glieds zurückgezogen haben, wenn dieser unsanft mit der Kupplung des Traktors umging. „Genauso unangenehm ist es für das Getriebe“, soll der Beschuldigte dabei gesagt haben. Den ersten Jungen habe der 61-Jährige bei fast jedem seiner fünf Besuche auf dem Hof angefasst. Erst habe er versucht, diesen unter dem Oberteil an der Brust zu kitzeln, anschließend sei er innerhalb der Hose übergriffig geworden. Auch hier habe er den Penis des Jungen mit dem Schalter des Traktors verglichen.

Ich habe das Gefühl, er verliert so langsam den Halt unter seinen Füßen.

Pflegemutter des ersten Opfers, über ihren Sohn.

Beide Opfer haben eine schwierige Vorgeschichte: Der erste Junge verlor früh seine Mutter, wuchs bei verschiedenen Pflegefamilien auf und ist schon seit Jahren nikotinabhängig. Nach dem Übergriff stieg die Zahl der täglichen Zigaretten von 20 auf mehr als 50, sodass er von den Pflegeeltern in eine Klinik geschickt wurde. Der sonst sehr kommunikative Junge sei sehr ruhig geworden, so die Pflegemutter vor Gericht. Über den Vorfall habe er erst gar nichts erzählen wollen. Erst auf Anraten seiner Klinikpsychologin sei er mit seinem Anliegen auf seine Pflegeeltern zugekommen. Einen Tag vor der Verhandlung und seiner anstehenden Aussage türmte der Jugendliche von daheim und war bis Verhandlungsende unauffindbar. Ob die erneute Konfrontation mit dem Angeklagten der ausschlaggebende Punkt war, ist unklar. „Ich habe das Gefühl, er verliert so langsam den Halt unter seinen Füßen", sagte die besorgte Pflegemutter in ihrer Befragung.

Der zweite Junge ist mittlerweile in Dortmund ansässig, konnte jedoch mit seinem Vater zum Gerichtstermin erscheinen. Er selbst meinte zu der Sache: „Ist halt passiert.“ Sein Vater wies nach Aufforderung von Richter Rainer Feil darauf hin, dass sein Sohn zwar schon vorher mit Drogen in Kontakt gewesen sei, sich der Konsum seit des Übergriffes aber extrem intensiviert habe. Auch zwischenzeitliche Depressionen soll der jetzt 17-Jährige gehabt haben. Ob diese aber auf die Tat zurückzuführen sind, ließ sich weder vom Vater noch vom Schöffengericht ermitteln. Feil kam zum Schluss, dass sämtliche Opfer in dasselbe Profil passen: Jugendliche ohne Halt oder Festigung in der Gesellschaft, die ein Angebot, einmal Traktor fahren zu dürfen, dankend annehmen und dafür ausgenutzt werden.

Düstere Vorgeschichte

Auch der Beschuldigte hat eine schwierige Kindheit hinter sich: Als Erstklässler wurde er von einem Lkw-Fahrer selbst sexuell missbraucht. Laut den sehr klaren Aussagen des 61-Jährigen war dies ein einschneidendes Erlebnis in seinem Leben. Wieso er sich trotz seiner eigenen Vorgeschichte dazu verleiten ließ, das selbst erlebte Leid anderen zuzufügen, konnte er kaum beantworten. Lediglich „das Gefühl der Machtlosigkeit“ und „die höhere Macht anderer um ihn herum“ habe er damit unterdrücken wollen.

Nach der Anklage aus dem Jahr 2010 soll er sich selbst um eine Therapie gekümmert haben, die zwischenmenschliche Beziehungen, Stressverhalten und die Zuneigung gegenüber Minderjährigen genauer beleuchtet haben soll. Da diese schon zurzeit der damaligen Verhandlung positiv angeschlagen und er sich sehr kooperativ gezeigt habe, wurde seine Strafe zur Bewährung ausgesetzt, obwohl es sich dabei um mindestens 40 Fälle des Missbrauchs gehandelt haben soll.

Laut eigenen Angaben soll die zweijährige Therapie auch für gut ein Jahrzehnt gehalten haben. Dann kam die Corona-Zeit. Für den Angeklagten wurde die Einsamkeit größer und der Stress vervielfältigte sich. „Die Isolation hat mir zugesetzt“, sagte er vor Gericht. In besonderen Stresssituationen schien er dann rückfällig geworden zu sein, weshalb es zu den Übergriffen kam.

Diesmal keine Bewährung

Auch fast 15 Jahre nach seiner ersten Verhandlung zeigte sich der 61-Jährige sehr kooperativ. Auf Fragen antwortete er bereitwillig und gab sämtliche Informationen, auch fernab des Falles, preis. Das bestätigte auch die ermittelnde Oberkommissarin, die für den Fall als Zeugin vor dem Heidenheimer Schöffengericht aussagte. Demnach seien die gesamten Ermittlungen dank seiner Zusammenarbeit einfach und schnell verlaufen. Daher sah es kurz vor der Urteilsverkündung einmal mehr nach einer Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wofür Verteidiger Eberhard Frick stark plädierte. Frick zeigte sich überzeugt, dass eine günstige Sozialprognose für seinen Mandanten sprechen würde.

Andere Menschen werden dadurch aus der Bahn geworfen, Sie haben das doch am eigenen Leib erfahren.

Richter Rainer Feil bei seiner Belehrung.

Jedoch wurde der Landwirt anschließend zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Richter Rainer Feil betonte, dass das Schöffengericht während der rund 45 Minuten dauernden Besprechung mit sich gerungen habe, eine Bewährungsstrafe aber nicht erteilen konnte. Genau wie im Jahr 2010 wäre eine Haftstrafe auf Bewährung vertretbar gewesen, da sich unsittliche Berührungen in einer rechtlichen Grauzone bewegen. Doch eben jene Vorstrafe wurde dem Angeklagten in der hiesigen Verhandlung zum Verhängnis: „Wir haben mit uns gerungen. Doch die Vorgeschichte zeigt, dass man nicht fest davon ausgehen kann, dass sich die Geschichte nur mit einer Bewährungsstrafe nicht noch einmal wiederholt.“

In seiner Belehrung machte Richter Feil dem Verurteilten auch klar, dass eine Therapie trotzdem sinnvoll ist, um auch im Rentenalter nach der abgesessenen Haftstrafe etwaige Übergriffe zu verhindern. Zudem ermahnte er den 61-Jährige zu bedenken, dass dies Taten sind, die den Lebenslauf von anderen Personen schlichtweg zerstören können: „Andere Menschen werden dadurch aus der Bahn geworfen, Sie haben das doch am eigenen Leib erfahren.“

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