Eine Verhandlung wie aus einer Gerichtssendung spielte sich diese Woche in Heidenheim ab. Die Anklage gegen einen 86-Jährigen aus Niederstotzingen vor dem Amtsgericht: Sachbeschädigung an einer Autotür in Höhe von 957 Euro und ein paar Cent. Was dies nach sich zog: Vier Verhandlungen vor Gericht, eine nicht akzeptierte Verurteilung, Lügenbezichtigungen und eine mögliche weitere Verhandlung vor dem Landgericht. In Niederstotzingen ist ein Nachbarschaftsstreit auf einem kuriosen Höhepunkt – oder es wurde aus einer Mücke ein Elefant gemacht.
Sachbeschädigung an einem Auto
„Sie sehen mich nicht zum letzten Mal“, sagte der Angeklagte zu Richter Dr. Christoph Edler schon zu Anfang der Verhandlung. Dass diese Aussage keine leere Drohung war, wurde allen Beteiligten im Gerichtssaal schnell klar. Der 86-jährige Angeklagte meinte aber in diesem Fall nicht einmal die Sachlage der aktuellen Verhandlung, sondern die angeblich dubiosen Machenschaften seiner Nachbarn, deren Auto er im August 2023 beschädigt haben soll. Die Staatsanwaltschaft warf dem Senior vor, das Auto des Mannes seiner ehemaligen Hausverwalterin mit einem Gehstock zerkratzt zu haben. Dabei entstand ein Schaden an der hinteren rechten Autotür. Am Ende der dreistündigen Verhandlung stellte sich die Frage: wofür der riesengroße Aufwand?
Es hätte alles so schnell gehen können. Der Angeklagte gab nach etwa zwei Minuten zu, mit seinem Spazierstock gegen die Autotür des am Straßenrand geparkten Autos seines Nachbarn gestoßen zu haben. Doch der Senior, der während der Verhandlung immer wieder betonte, dass er seit einer Operation im Frühjahr dieses Jahres an Gedächtnisschwund leidet, war der felsenfesten Überzeugung, gegen die vordere Autotür gestoßen zu haben, wobei kein Kratzer entstanden sei. Während seiner Vernehmung schmiss der Angeklagte mit Anschuldigungen und Vorwürfen um sich, sodass er nicht nur von Verteidiger Stefan Dangel mehrfach zurückgehalten wurde, sondern von Richter Edler nach nur einer Viertelstunde ermahnt wurde. Den Ermahnungen kam der Angeklagte nur mit Missgunst entgegen. „Ich schaue immer diese Verhandlungen im Fernsehen an. Wieso dürfen da immer alle reden?“, fragte der renitente Rentner seinen Verteidiger. „Weil das dort alles gestellt ist“, entgegnete Dangel.
Kuriositätenkabinett im Amtsgericht
Sowohl der Autobesitzer als auch ein anderer Nachbar wurden anschließend in den Zeugenstand berufen. Das Opfer der Gehstockattacke, ein 74-jähriger Nachbar des Angeklagten, beschrieb den 86-Jährigen als einen unausstehlichen Nörgler: „Wir haben 36 Parteien in den Häusern und nur Probleme mit ihm“, sagte der Zeuge. Woher die gegenseitige Abneigung der beiden Rentner rührt, wurde während einer kurzen Auseinandersetzung offenbart: „Der hat versucht mein Haustürschloss zu zerstören“, sagt der Angeklagte, ohne dies zu belegen. Anschließend bezeichnete er seine ehemalige Hausverwalterin als "Schande" und warf ihr Betrug vor. Der 74-jährige Zeuge wiederum wollte sich die Anschuldigungen nicht bieten lassen und wurde daraufhin selbst ausfällig gegenüber Richter Edler. Dieser ermahnte beide und wies auf das Ordnungsgeld hin, dass die beiden Senioren zahlen müssten, sollten sie sich noch eine weitere Entgleisung leisten.
Nach der Vernehmung des 74-Jährigen wurde ein weiterer Nachbar in den Zeugenstand berufen, der am Tattag im August 2023 vor Ort Augenzeuge war. Das Problem: der 47-jährige Pole erschien nicht. Dies geschah nicht zum ersten Mal, wie Verteidiger Dangel erklärte: „Von bisher drei Verhandlungsversuchen erschien er nur einmal“. Bei der einzigen Vernehmung des Augenzeugen machte dieser schleierhafte Angaben über den Tathergang und war sich selbst nicht sicher, welche Tür der Angeklagte beschädigt haben sollte. Nach einer eineinhalbstündigen Unterbrechung, in welcher die Polizei Sontheim ausgesandt wurde, um den Zeugen abzuholen, konnte die Verhandlung fortgeführt werden. Der Augenzeuge berichtete mithilfe eines extra engagierten Dolmetschers den Tathergang – exakt wie von der Staatsanwaltschaft vorgetragen.
Ein bitteres Eigentor für den Angeklagten
Damit schien die Schuldfrage nahezu geklärt. Zur endgültigen Klärung führte ein klassisches Eigentor des 86-Jährigen: Um seinen eigenen sturen Willen zu befriedigen, brachte der Senior einen etwa 1,60 Meter langen Haselnussstecken mit in den Gerichtssaal: die von ihm selbst deklarierte Tatwaffe. Prof. Dr. Jochen Buck, Forensiker und Unfallforscher mit Schwerpunkt Verletzungsmechanik wurde als Sachverständiger für diesen Fall hinzugezogen und machte sich während des Prozesses ein Bild über den Tathergang und die mutmaßliche Tatwaffe. „Anfangs ging ich von einem normalen gummierten Gehstock aus. Dieser hätte den Schaden nur teilweise anrichten können“, sagte Buck in seinem abschließenden Bericht. „Doch mit dem untersuchten Haselnussstecken, an dessen Unterseite ein Kiesel steckt, ist die Beschädigung nachvollziehbar.“
So nahm das Urteil Gestalt an. Richter Edler kam der von Staatsanwalt Niklas Krusche gestellten Forderung von 30 Tagessätzen à 30 Euro nach und verurteilte den Angeklagten mit den Worten: „Ich bin sehr überzeugt, dass ihr Schlag zum Schaden an der Autotür geführt hat“. Der Angeklagte, der sich einmal mehr nicht der Schuld bezichtigen lassen wollte und vorher klargemacht hatte, dass er sich eine weitere Verhandlung eigentlich gar nicht leisten könne, gab die letzte Aussage des Verhandlungstages ab: „Ich werde in Berufung gehen!“ Wenn dieser stattgegeben wird, landet dieser Fall einer Sachbeschädigung von etwa 957 Euro ein fünftes Mal vor Gericht. Dieses Mal vor dem Landgericht Ellwangen.