Sommerserie „Ganz nebenbei“

Welche Vor- und Nachteile der Konsum von Rohmilch haben kann

Ganz nebenbei hat HZ-Redakteur Theodor Hölzle die Rohmilch der Ziegen aus dem heimischen Stall in seine Ernährung eingebunden. Warum das ein nicht ganz risikofreies Unterfangen war.

Um bei den „Superfoods“ dieser Welt auf dem neusten Stand zu bleiben, muss man ganz schön viel Zeit aufwenden. Denn die Liste der Lebensmittel mit anscheinend besonders guter Wirkung auf den Körper ist lang und ändert sich ständig. Vor wenigen Jahren war zum Beispiel Natto, ein japanisches Gericht aus fermentierten Sojabohnen, besonders beliebt, heute sind Avocados in aller Munde. Andere Superfoods erhalten über Jahre steigenden Zuspruch. Zu dieser Kategorie gehört auch die Rohmilch.

Einst war Rohmilch ein ganz alltägliches Lebensmittel für Millionen von Menschen in Europa, die Schafe, Ziegen oder Kühe hielten. 1864 entwickelte Louis Pasteur das nach ihm benannte Verfahren der Pasteurisierung, bei dem die Milch kurzzeitig auf 72 Grad Celsius erhitzt wird. Dadurch können Mikroorganismen abgetötet werden, die im lebendigen Zustand bei manchen Menschen Krankheiten ausgelöst hätten. Aufgrund dieses Vorteils trat Pasteurs Verfahren einen weltweiten Siegeszug an. Doch heute gibt es eine Gegenbewegung.

Besonders auffällig treten die Freunde der Rohmilch in den USA in Erscheinung. Während Influencerinnen und Influencer aus den Metropolregionen „Raw Milk“ zum Teil ihrer „ausbalancierten Ernährung“ machen oder zu aufwändigen Kaffees hinzufügen, sehen Männer und Frauen aus den Südstaaten oder dem Mittleren Westen den Rohmilchkonsum als „gottgegebenes Recht“ an und schreiben der Flüssigkeit lebensspendende Kräfte zu. Der amerikanische Rohmilchabsatz ist im Vergleich zum Absatz der pasteurisierten Milch trotzdem noch klein, aber er steigt jedes Jahr.

Die Ziegen betreten selbstständig den Melkstand, wo sie während dem Melken essen können. Rudi Penk

In Deutschland könnte es dieses Phänomen nicht geben, denn hier darf Rohmilch nur unter strengen Auflagen verkauft werden, weshalb fast keine Betriebe Milch in dieser Form anbieten. Für den eigenen Bedarf dürfen Tierhalter die Milch allerdings verwenden - und meine Eltern besitzen eine Herde Milchziegen. Warum also nicht ganz nebenbei das „Superfood“ Rohmilch auf Geschmack und Wirkung testen?

Bevor ich allerdings mit dem Trinken beginnen kann, muss ich zunächst an frische Milch kommen. Das Melken, welches früher zum Tagesablauf vieler Haushalte auf dem Land gehörte, erscheint heute trotz Erleichterungen als ziemlich arbeitsintensiv. In meinem Fall befülle ich zuerst ein Fressgitter mit Kraftfutter, einer Mischung, die hauptsächlich aus gemahlenem Getreide besteht. Die Ziegen sind große Fans dieses Gemischs und drängen sich deshalb sofort am Gatter, das zwischen ihnen und dem Melkstand steht.

Mensch oder Maschine?

Trotzdem sollten die Tiere den Melkstand möglichst langsam und nacheinander betreten, sodass sie am Fressplatz fixiert werden können. Sobald alle oben sind und die Euter zur Reinigung mit einer dünnen Holzwolle abgerieben wurden, hat man zwei Optionen. Die erste wäre, einen Eimer zu holen und von Hand zu melken. Mögliche Nachteile: Für ungeübte Hände kann die Melkbewegung sehr anstrengend sein. Wenn man nicht aufpasst, kann es passieren, dass eine Ziege mit dem Fuß gegen oder in den Eimer tritt; dann war die Arbeit umsonst. Und der lange Kontakt der Milch zur Stallluft könnte den Geschmack der Milch negativ beeinflussen.

Eliminieren lassen sich diese Probleme zum Beispiel durch den Einsatz einer Vakuumpumpe. Hier besteht die Arbeit nur noch daraus, das Melkzeug an den Zitzen der Ziegen anzubringen, dann wird die Milch kontinuierlich durch Schläuche in eine Kanne gesaugt. Dann noch das Euter massieren, bis der letzte Rest der Milch herauskommt und zum Abschluss die Zitzen desinfizieren.

HZ-Redakteur Theodor Hölzle bedient auf dem elterlichen Hof die vakuumbetriebene Melkanlage. Rudi Penk

Doch als ich endlich ein großes Glas Ziegenmilch vor mir stehen habe, beschleichen mich erste Zweifel an meiner Idee. Denn nicht nur die Liste der möglichen Vorteile, sondern auch die der möglichen Nachteile des Rohmilchkonsums ist lang. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit erklärt auf ihrer Website folgendes: „Rohmilch kann schädliche Bakterien enthalten, die in der Lage sind, schwere Krankheiten auszulösen.“ Arten, die in Rohmilch gefunden wurden, seien zum Beispiel Campylobacter, Salmonella und Escherichia coli.

Den wissenschaftlich belegten, aber seltenen Krankheitsfällen stehen schwer zu quantifizierende Vorteile gegenüber. Ein Artikel auf der Website der „Agrarforschung Schweiz“ fasst diese folgendermaßen zusammen: Die Ernährung mit Rohmilchprodukten begünstigt die Vielfalt des Mikrobioms im Darm, schützt vor Allergien und fördert damit einen guten Gesundheitszustand.“ Durch eine Erhitzung würden sowohl die gesunden, als auch die ungesunden Bestandteile der Milch denaturiert.

Sofortige Effekte bleiben aus

Mein Zaudern wird die Milch nicht weniger kontrovers machen. Also fasse ich mir ein Herz und führe das Glas zu den Lippen. Die Rohmilch schmeckt leicht süßlich, ansonsten fällt sie nur dadurch auf, dass sie ziemlich cremig ist. Das wird wohl am natürlichen Fettgehalt liegen, denke ich. Sofortige Effekte auf meinen Körper bleiben aus. Aber damit war auch nicht zu rechnen. Ich bleibe also dran, und trinke mehrere Tage lang jeden Morgen und jeden Abend ein großes Glas Ziegenmilch.

Nach ein paar Tagen ist mein Gesundheitszustand unverändert, meine Haut nicht verjüngt und meine leichte Heustauballergie immer noch da. Andererseits befinde ich mich auch nicht im Wartezimmer eines Arztes oder gar im Krankenhaus. Ob die Rohmilch in der Summe der Effekte nun gut oder schlecht für mich ist, kann ich nicht sagen. Als Superfood braucht man sie in jedem Fall nicht zu bezeichnen. Aber diesen Titel konnte ohnehin noch kein Lebensmittel lange behaupten.

So geht’s weiter bei der HZ-Sommerserie

Der nächste Teil der Sommerserie erscheint am Donnerstag, 22. August. Darin wird HZ-Redakteur Andreas Uitz die Bedeutung von obskuren Straßenschildern erforschen.

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