Totschlag-Prozess am Ellwanger Landgericht

Angeklagter aus Bergenweiler lebte offenbar in ständiger Angst um Tochter

Freunde und Familie des 42-Jährigen, der seine Lebensgefährtin in Bergenweiler erstochen haben soll, zeichneten das Bild eines liebevollen Vaters, der sich ständig Sorgen um seine bedrohte Tochter machte.

Viele Vorwürfe standen nach dem ersten Verhandlungstag des Bergenweiler Totschlag-Prozesses am Ellwanger Landgericht im Raum. Der 42-jährige Angeklagte soll seine Lebensgefährtin bei einem Streit am 18. Januar gewürgt und am 20. Januar mit zwei Messerstichen getötet haben. Die 40-Jährige soll gedroht haben, die gemeinsame Tochter zu töten und ihren Lebensgefährten regelmäßig beschimpft und erniedrigt haben. Am zweiten Verhandlungstag konnten viele dieser Vorwürfe mit weiteren Informationen unterfüttert werden.

Mehrere Zeugen, die den Angeklagten gut kannten, sagten vor Gericht über diesen aus. Ein alter Freund des 42-Jährigen beschrieb, dass dieser sich nach der Geburt der Tochter stark verändert habe. Früher sei er ein sozialer „Partymensch“ gewesen, später sei er jedoch immer verschlossener geworden. Teils habe das an den ständigen Streitigkeiten mit der Lebensgefährtin gelegen. Er habe es ihr nie recht machen können und sei oft auch in der Öffentlichkeit für kleinste Fehler angegangen worden. Vor Gericht äußerte der Zeuge die Vermutung, dass der Angeklagte sich nicht von der Lebensgefährtin getrennt habe, weil dieser dann zu wenig Einblick ins Leben der gemeinsamen Tochter gehabt hätte.

Vier oder fünf Mal die Tochter bedroht

„Er hatte morgens Angst, zur Arbeit zu gehen, weil er nicht wusste, ob in der Zwischenzeit das Kind im Pool ersäuft wird“, so der Freund des Angeklagten. Drohungen dieser Art habe er in den sechs Monaten vor der Tötung vier- oder fünfmal mitbekommen, teils durch Erzählungen des Angeklagten, teils, weil er persönlich dabei gewesen war. Ob die 40-Jährige den Worten je Taten folgen lassen hätte, konnte der Zeuge nicht einschätzen, aber „wenn man so etwas sagt, hat man es sich im Kopf schon mal ausgemalt“.

„Er hatte morgens Angst, zur Arbeit zu gehen, weil er nicht wusste, ob in der Zwischenzeit das Kind im Pool ersäuft wird“

Freund des Angeklagten über diesen

Dass es Drohungen gab, bestätigen Chat- und Sprachnachrichten, die Anwältin Elisabeth Hößler am zweiten Verhandlungstag neu einbrachte. Am 11. Juli 2023 schrieb die 40-Jährige ihrem Lebensgefährten folgende Worte: „Ich schmeiß’ es gleich gegen die Wand, dann ist Ruhe“. Am 18. September 2023 schrieb sie: „Ich bin kurz davor, das Kind im Dreieck zu schlagen“ und später: „Ich muss hier raus, bevor ich jemandem etwas antue“. Am 16. November 2023 bekundet sie in einer Sprachnachricht, dass sie das Kind bald aus dem Fenster werfen werde. Staatsanwältin Wahl betonte daraufhin, dass es sich hier um extreme Bespiele handle, der Großteil der rund 100 täglich zwischen dem Paar ausgetauschten Nachrichten sei freundlich im Ton und oft auch liebevoll.

War die Lebensgefährtin mit dem Kind überfordert?

Die Mutter des Angeklagten, die ebenfalls als Zeugin aussagte, erklärte, dass die 40-Jährige mit dem Kind manchmal überfordert gewesen sei. Sie habe das Kind jede Woche zwei bis drei Mal abgeholt, um es zu betreuen. Wenn es Streit zwischen den Eltern gab, habe sie es manchmal „aus der Schusslinie“ geholt. Die 40-Jährige sei zu Anfang sehr liebevoll mit der gemeinsamen Tochter umgegangen, aber später sei ihr manchmal alles „zu viel geworden“. In solchen Situationen habe die 40-Jährige das Kind oft zu Bett gebracht. Weil es tagsüber schlief, sei es nachts wach gewesen; der Angeklagte habe sich dann um das Kind gekümmert, viel Schlaf verloren und konnte am nächsten Morgen teils nicht zur Arbeit gehen.

Laut der Mutter des Angeklagten habe dieser keine Ruhe gefunden, wenn er sich mit seiner Familie traf oder anderweitig das Haus verließ: „Er hat immer aufs Handy geschaut, wo er die Kamera des Babyphons überwachen konnte.“ Trotzdem gab die Mutter des Angeklagten an, ein gutes Verhältnis zu der 40-Jährigen gehabt zu haben: „Ich bin mit ihr immer gut ausgekommen, aber man hat bei ihr nie gewusst, wie der nächste Tag werden wird.“

Psychische Probleme und körperliche Schmerzen

Von psychischer Instabilität berichtete auch Kriminaloberkommissarin Katharina Braun, die sich mit dem Fall beschäftigt hat. Laut Braun hatte die 40-Jährige eine schwierige Kindheit, zog früh bei den Eltern aus und geriet später in eine unharmonische erste Ehe. Ihr erster Ehemann habe die Frau geschlagen, wahrscheinlich habe sie zu dieser Zeit auch mit dem Drogenkonsum begonnen. Aus der Ehe ging ihre erste Tochter hervor, die nun beim Prozess als Nebenklägerin auftritt. Das Opfer sei psychisch sehr angeschlagen gewesen und habe auch körperliche Schmerzen gehabt.

Über den Angeklagten wusste Braun weniger zu berichten, nur dass er von vielen als liebevoller und fürsorglicher Vater beschrieben worden sei. Auch er habe in der Vergangenheit Drogen konsumiert. Eine Frau, die sich als Ex-Freundin des Angeklagten bezeichnete, meldete der Polizei, dass dieser sie bei einem Streit anlässlich der Trennung gewürgt hatte.

Der 42-Jährige soll am 18. Januar auch seine Lebensgefährtin gewürgt haben. Dazu passende Verletzungen kamen bei der Obduktion zum Vorschein, über die Anna Müller, Assistenzärztin am Institut für Rechtsmedizin in Ulm, berichtete. Die Oberhörner des Kehlkopfs seien gebrochen gewesen, was auf eine hohe Krafteinwirkung schließen lasse. Eine Verletzung dieser Art sei potenziell lebensgefährlich.

Verletzungen am ganzen Körper

Die Frau starb aber nicht daran, sondern zwei Tage später an den Messerstichen des Angeklagten. Laut Müller wurden drei Stichverletzungen gefunden, zwei am Brustkorb und eine an der Hand. Letztere sei eine typische Abwehrverletzung. Zudem wurden am ganzen Körper viele kleine und wenige größere Hämatome gefunden, weshalb Müller davon ausging, dass es vor dem Tod eine gewaltsame Auseinandersetzung gab.

Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Thomas Dieterich äußerte sich Müller zum möglichen Todeszeitpunkt der 40-Jährigen. Müller hielt es für möglich, dass die Frau noch am Leben war, als der Angeklagte den Notruf absetzte, weil der Notarzt einige Minuten später noch schwache elektrische Signale auf dem Elektrokardiogramm feststellen konnte und keine Leichenflecken gesehen habe. Gänzlich offen bleibt dagegen, wie die tödliche Auseinandersetzung zeitlich und räumlich ablief.

Die Verhandlung wird am Montag, 15. Juli, fortgesetzt. An diesem Tag soll auch ein psychologisches Gutachten über den Angeklagten eingebracht werden.

Vergessenes Mobiltelefon als Beweismaterial

Nach der Tötung durchsuchte die Polizei das Haus in Bergenweiler und nahm einige Mobiltelefone und Tablets mit, um diese zu analysieren. Die als relevant eingeschätzten Mobiltelefone wurden ausgewertet, allerdings fehlte der Polizei das Handy des Angeklagten. Erst längere Zeit nach der Tat fand ein Bruder des Angeklagten dieses beim Ausräumen des Hauses. Er übergab das Mobiltelefon der Anwältin des Angeklagten, welche dann kurzfristig die Nachrichten auswählte, die am zweiten Verhandlungstag gezeigt wurden.

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