Ein seltener Hoffnungsimpuls

Kinderfeste haben meist eine lange Tradition und sind oft tief mit der Geschichte einer Kommune verbunden. Wie alles, so sind auch sie einem Wandel unterworfen, der den Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung trägt.

So weit, so gut. Das ist allseits bekannt und wird auch gewöhnlich akzeptiert, wenn bei Anpassungen sensibel und moderat vorgegangen wird. Eigentlich gibt es bei der momentanen Weltlage und den damit verbundenen Problemen im In- und Ausland Wichtigeres als die Liedauswahl für ein Kinderfest. Wenn eine sich „Arbeitsgruppe“"” nennende Vereinigung nun meint, das Paul-Gerhardt-Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ streichen zu müssen, dann scheint diese Gruppe ihre Gründe zu haben.

Vielleicht haben sie sich nie wirklich mit dem Text inhaltlich auseinander gesetzt. Oder ihnen gefällt die Melodie nicht. Das Lied wirkt auf sie eventuell antiquiert, weil es nicht in englischer Sprache geschrieben wurde. Und es könnte natürlich auch sein, dass sie beim Autor des Liedes eher an ein Pflegeheim in Giengen denken als an den Ausdruck der Freude über den erwachenden Frühling und den hellen warmen Sommer. Man muss nicht unbedingt darüber reflektieren, dass das Lied in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges geschrieben wurde und damals und heute einen seltenen Hoffnungsimpuls darstellt. Dies alles muss man selbstverständlich nicht tun, und wenn man selbst diese Hintergründe nicht versteht und schätzt, dann kann auch nicht erwartet werden, dass die betreffenden Lehrkräfte dieses Kulturgut pflegen und weitervermitteln wollen.

Nur, diese Lehrkräfte mögen uns doch bitte mit ihrem allzu flachen Urteil verschonen, das Lied sei nicht mehr zeitgemäß. Denn das stimmt ganz sicher nicht. Wenn ihnen das Lied schlicht nicht passt, dann sollten sie den Mut aufbringen, dies auch so schlicht und direkt zu sagen. Geschichtsvergessenheit ist ja nicht strafbar. Vielleicht wird aber auch der angekündigte geistige Erguss einer Lehrerin die Besucher des Kinderfestes zukünftig für den Traditionsabbruch bei „Geh aus, mein Herz, und suche Freud" vollständig entschädigen. Aber, wie bereits gesagt, vielleicht gibt es momentan tatsächlich Wichtigeres auf der Welt als ein Lied auf dem Kinderfest.

Jörg Ehlers, Herbrechtingen