Prozess

Messerstecherei Obere Ziegelhütte in Steinheim: Der Täter bleibt eine Gefahr für die Allgemeinheit

Im Prozess wegen versuchten Mordes fiel am Freitag das Urteil gegen einen 31 Jahre alten Asylbewerber aus Steinheim. Der Mann muss aufgrund seiner Schizophrenie in der Psychiatrie bleiben. Einen Tötungsvorsatz sahen am Ende weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht.

Messerstecherei Obere Ziegelhütte in Steinheim: Der Täter bleibt eine Gefahr für die Allgemeinheit

Am Ende gab es bei der Tat am 9. Mai 2023 in der Asylbewerberunterkunft auf der Oberen Ziegelhütte in Steinheim zwei Opfer: Den 23 Jahre alten Mann, der Zeit seines Lebens durch Narben im Gesicht entstellt sein wird, und den 31 Jahre alten Täter, der ihm die Verletzungen zugefügt hat. So sah es am Ende der Vorsitzende Richter der Ersten Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ellwangen, Bernhard Fritsch, als am Freitag das Urteil gegen den Mann gesprochen wurde.

Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Verfolgungswahn

Der Marokkaner, der in dieser Mai-Nacht sein Opfer mit einer Schere, einem Messer, mit Schlägen und Tritten schwer verletzt hatte und danach vor der Polizei in ein Waldstück geflohen war, hat die Taten zwar zweifelsfrei begangen. Zu einer Haftstrafe konnte er aber nicht verurteilt werden. Grund dafür ist seine schwere seelische Erkrankung, die am Freitag der psychiatrische Gutachter, Dr. Fabian Lang, ausführlich erklärte. Der 31-Jährige zeige alle Hauptsymptome einer Schizophrenie: Verfolgungswahn, Halluzinationen, Wahnvorstellungen und eine ausgeprägte Ich-Störung, bei der die Betroffenen der festen Überzeugung sind, dass von außen etwas in ihre Gedanken eindringt oder andersherum, ihre Gedanken von anderen gesehen werden können. Der Mann fühlte sich verfolgt und ausspioniert, sein späteres Opfer hielt er für einen Agenten des marokkanischen Geheimdienstes, hörte seine Stimme, auch wenn dieser gar nicht zugegen war. Von völlig Fremden fühlte er sich beobachtet, ging davon aus, man könne seine Gedanken lesen.

Ein Täter ohne Schuld

Der Gutachter ging davon aus, dass der Angeklagte bereits seit Jahren unter seiner psychischen Krankheit litt – ohne Diagnose und ohne Therapie. Am Ende waren es wohl auch diese Wahnvorstellungen, die Überzeugung, verfolgt zu werden, die ihn dazu trieben, 2022 erst in die Türkei und dann über den Landweg nach Deutschland zu fliehen. Die Art und Weise, wie er sich laut Zeugenaussagen sowohl während der Tat in der Nacht auf den 9. Mai als auch in der Zeit danach verhielt, ließ den Gutachter zu dem Schluss kommen, dass er in der besagten Zeit weder einsichts- noch steuerungsfähig war. Juristisch führt das am Ende zur Schuldunfähigkeit: Der Mann kann für seine Taten nicht rechtlich verantwortlich gemacht werden.

Am Ende rückte auch die Staatsanwaltschaft vom eigentlichen Tatvorwurf des versuchten Mordes ab: Zum einen ließen die Verletzungen des Opfers keinen Tötungsvorsatz erkennen, so schwerwiegend sie auch gewesen sein mögen. Und selbst wenn: Das Mordmerkmal der Heimtücke konnte nicht erfüllt gewesen sein, weil die Planungsfunktion im Hirn des 31-Jährigen zum Tatzeitpunkt laut Gutachter erheblich eingeschränkt gewesen sein muss. So blieb die gefährliche Körperverletzung, die das Gericht auch in seinem Urteil als verwirklicht ansah.

Angeklagter will abgeschoben werden

„Der Beschuldigte in diesem Verfahren ist genauso ein Opfer des Geschehens und seiner eigenen Erkrankung, wie das tatsächliche Opfer eines ist“, so Richter Bernhard Fritsch. Schizophrenie sei nicht heilbar, sondern nur unterdrückbar. Zum jetzigen Zeitpunkt sei der Mann eine Gefahr für die Allgemeinheit, weil er seine Wahnvorstellungen jederzeit auf andere Unbeteiligte projizieren könne. „Wie lange Sie in dem Krankenhaus bleiben müssen, hängt auch davon ab, wie gut Sie mitarbeiten“, so Fritsch an den Angeklagten gerichtet. Das könne Jahre dauern, auch, weil der Marokkaner kein Deutsch spricht und Gespräche in der Psychiatrie derzeit nur mithilfe eines Dolmetschers möglich sind. Dass ihm geholfen werden muss, steht aber auch in seinem Sinne fest: Zeitweise hat er laut Gutachter darum gebeten, ins Koma versetzt zu werden, weil er die erdrückende Last seiner eigenen Gedanken nicht mehr ertragen konnte.

Der Wunsch des 31-Jährigen, den er zum Schluss der Beweisaufnahme äußerte, wird jedenfalls vorerst unerfüllt bleiben: Er bat darum, abgeschoben, anstatt in die Klinik eingewiesen zu werden – aus Angst, seine bereits betagten Eltern in Marokko nicht lebend wiederzusehen.

Was wurde aus dem Opfer?

Das 23 Jahre alte Opfer der Tat tauchte auch am zweiten Verhandlungstag nicht vor Gericht auf. Am Mittwoch bereits hatte sein Anwalt mehrfach vergeblich versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Auch in der Steinheimer Asylbewerberunterkunft war er seit zwei Wochen nicht mehr gesehen worden.

Laut Gericht gibt es mittlerweile Hinweise darauf, dass sich der Mann nach Portugal abgesetzt haben könnte. Er sollte abgeschoben werden, der Vollzug wurde aufgrund des Prozesses zunächst ausgesetzt.

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