Leserbrief

Nachhaltig und zukunftsfähig

Leserbrief zu den Veränderungen beim Kinderfest in Steinheim.

Nachhaltig und zukunftsfähig

Traditionen zu begründen ist das eine – dies geschieht meist dadurch, dass wertvolle Lebensschätze in Brauchtum, Sitte und Gewohnheit übergehen. Sie abzubrechen das andere. Sie verbinden über Generationen hinweg – wenn es denn sein kann, bleiben sie Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende lang prägsam, das menschliche Leben stärkend. Sie schaffen Identität und Gemeinsinn und sind dabei Träger einer inhärierenden Kraft im Alltag! All das sind Werte, die wir doch in unseren Tagen gesellschaftlich so sehr suchen, brauchen, ja nötig haben.

Traditionen sind per se im besten Falle „nachhaltig“ und „zukunftsfähig“. Wann sich nun Traditionen als überholt erweisen, sollte daher einem weitaus größeren Kreis, dem freien Spiel der Kräfte, ja vielmehr der Zeit überlassen werden, solange kein unabwendbarer Sachzwang vorliegt – ist dies doch ein Akt gesellschaftlicher Identitätsentwicklung mit Eigendynamik. Jeder allzu schnelle grobe Eingriff in diese Dynamik atmet mutmaßlich ideologischen Geist. Dass nun der Traditionsabbruch am Lied „Geh aus mein Herz und suche Freud“ im Kontext des Steinheimer Kinderfests aktiv herbeigeführt wird, spricht über Traditions- und Geschichtsbewusstsein unserer Zeit – so meine ich – Bände. Und es bleibt zu befürchten, dass dies für unsere Gesellschaft nichts Gutes verheißen kann.

"Ich profitiere heute noch davon"

Unseren Kindern bringen wir Schätze vergangener Zeiten, lehren sie Wurzeln im so sandigen Erdreich des Lebens zu fassen und zukünftig Halt im Flug der Zeiten zu finden. Aus dem Schatz von Traditionen schöpfen sie – freilich mit Alltagsgespür – Orientierung, Heimat und bewährte Werte für ein gutes Leben, ja Segen. Mit meinen Wurzeln in Steinheim bin ich einst selbst mit der Tradition dieses Paul-Gerhardt-Liedes aufgewachsen. Gott sei Dank! Ich profitiere noch heute davon.

Nun frage ich mich allerdings, worin hier so plötzlich ein animus iniuriandi liegt? In den beiden eingängigen Vertonungen, im Textgehalt, der die in diesen Tagen so besonders verletzliche Schönheit der Schöpfung besingt und auf den größeren Hoffnungshorizont des Schöpfers verweist und sensibilisiert, dass da noch ein viel Größerer für uns da ist, der uns in unserer aktuellen Not beisteht und hält? (Nota bene! Dies hält Artikel 12 unserer Landesverfassung in Absatz 1 fest, jungen Menschen weiterzugeben – eine verbindliche Grundlage des pädagogischen Auftrags.) Ich glaube, hier wird Traditionsgehalt schlichtweg verkannt und die tröstliche Halbwertzeit mancher Stücke unterschätzt.

Mir will das Ganze jedenfalls nicht verständlich werden. Man könnte in unseren Tagen bei weitem an anderen Stellen rote Fragezeichen setzen! Persönlich bin ich von der getroffenen Entscheidung enttäuscht, ja irritiert. Meine Bitte an die Verantwortlichen: Überdenken Sie diese Entscheidung, greifen Sie das Thema erneut auf, steuern Sie nach und um. Und werfen Sie liebgewordene Traditionen, ja den Segen darin – nicht achtlos, ja lieblos – per Dekret weg!

Pfarrer Steffen Hägele, Hermaringen