Sensationelles Fußballjahr

1. FC Heidenheim: Wenn es in der Voith-Arena mal wieder richtig knallt

Der 1. FC Heidenheim spielt eine beeindruckende Hinrunde und überrascht mit einem neunten Tabellenplatz zum Jahresende. Was das mit einem Hexenkessel, alten und auch neuen Stärken zu tun hat:

Der „sympathische Dorfklub“ mit seinem „kultigen Trainer“ (so in der Bundesligavorschau des Fußballmagazins „11 Freunde“) in der Bundesliga. Hört sich niedlich an, nach dem Motto: „Die wollen nur spielen.“ Kein Wunder also, dass der FCH, zusammen mit Mitaufsteiger Darmstadt, vor der Saison zu den ersten Abstiegskandidaten gezählt wurde.

So manch einer schaut nun etwas ungläubig auf die Tabelle, in der der FCH mit Platz neun einen einstelligen Platz belegt. Und mit 20 Punkten zehn Zähler Vorsprung auf die Abstiegszone hat. „Verwundert hätte es uns schon, wenn es uns einer vor der Saison das gesagt hätte. Jetzt in dem Moment gar nicht. Jeden einzelnen Punkt, den wir geholt haben, haben wir uns verdient“, sagt Trainer Frank Schmidt. Die starke Ausgangslage haben die Heidenheimer mehreren Faktoren zu verdanken.

Freiburgs Lucas Höler über die Voith-Arena: "Das ist hier ein Hexenkessel"

Zum einen ihrer Heimstärke. Nach dem 3:2-Sieg des FCH gegen Freiburg kam das größte Lob vom Gegner: „Das ist hier ein Hexenkessel“, zeigte sich der zweifache Freiburger Torschütze, Lucas Höler, beeindruckt. In eine ähnliche Richtung ging die Einordnung von Christian Streich: „Ich hab’s den Jungs gesagt: Es wird knallen hier. Es hat geknallt. Ein paar Mal habe ich gedacht: Jetzt reicht’s dann. Aber es ist legitim, zwar an der Grenze, aber legitim. Wir wurden mächtig bearbeitet“, so der Freiburger Coach.

16 seiner 20 Punkte holte der FCH in der Voith-Arena, in der es zudem nur zwei Niederlagen in acht Spielen gab (fünf Siege, ein Unentschieden). Die Heimstärke ist zwar nicht neu, bereits in der Vergangenheit wurden x-mal große Siege im Heidenheimer Stadion gefeiert. Das Kunststück ist es allerdings, dies auf Bundesliganiveau zu untermauern. Ähnlich wie gegen Darmstadt (ebenfalls 3:2), kam der FCH auch gegen Freiburg nach zweimaligem Rückstand noch zum Sieg. „Wir sind stabiler geworden, machen noch den ein oder anderen Fehler, aber schaffen es über Geschlossenheit, Fehler auszubügeln“, sagt Tim Kleindienst.

„Ich hab’s den Jungs gesagt: Es wird knallen hier. Es hat geknallt. Ein paar Mal habe ich gedacht: Jetzt reicht’s dann. Aber es ist legitim, zwar an der Grenze, aber legitim. Wir wurden mächtig bearbeitet.“

Christian Streich. Trainer des SC Freiburg

Während Freiburgs Trainer Christian Streich andeutete, dass er eben dies bei seinem Team vermisste („Mit zwei, drei Herren muss es ein Gespräch geben“), unterstrich Frank Schmidt: „Meine Mannschaft hat als Team keinen Egoismus gezeigt, stattdessen eine hohe Bereitschaft und Widerstandsfähigkeit.“

Reiner Teamspirit reicht zwar wohl nicht. Der FCH zeigt aber eine Anpassungsfähigkeit im taktischen Bereich. Während nur Tage zuvor in Mainz die Heidenheimer nur knapp 35 Prozent Ballbesitz hatten, waren es in der ersten Halbzeit gegen Freiburg deutlich über 60 Prozent. Heißt: Während der FCH oft übers Pressing und Verteidigen kommt, stellte Frank Schmidt bewusst auf Ballbesitzspiel um. Auch, um die geschwächten Freiburger (nur fünf Spieler auf der Auswechselbank, zusätzliche Strapazen durch die Europa League) verstärkt unter Druck zu setzen. Diese liefen fast genauso viel wie die athletisch top fitten Heidenheimer (beide jeweils knapp 124 Kilometer).

Christian Streich (links) und Frank Schmidt nach der Pressekonferenz. Foto: Eibner/Silas Schüller


Und während der FCH sowohl gegen Darmstadt als auch gegen Mainz seine Tore nach Standards erzielte, war es gegen Freiburg anders: Alle drei Treffer wurden nach Kombinationen aus dem Spiel heraus gemacht. Und das ohne den erkrankten Topscorer Niklas Beste (aus Gründen des „Datenschutzes“ wollte Schmidt darauf nicht näher eingehen).

Unabhängigkeit von Einzelspielern wird somit eine große Rolle spielen, was zu einer neuen Stärke werden könnte. Gegen Freiburg gelang es dem FCH Bestes Ausfall zu kompensieren. Gegen Darmstadt hatte der 24-Jährige alle drei FCH-Tore direkt vorbereitet (fünf Tore, acht Vorlagen). „Niki ist brutal wichtig für die Mannschaft. Aber ein Spieler rettet nicht die Mannschaft, auch wenn er eine super Saison spielt. Ich glaube, dass wir genug Qualität im Kader haben und das auch gezeigt haben“, sagt Eren Dinkçi.

Gemeinsame Freude: Eren Dinkçi (links) und Tim Kleindienst. Foto: Eibner/Silas Schüller

Eine weitere, mögliche neue Stärke fällt beim Blick auf die Einwechslungen auf: Alle fünf Spieler, die zwischen der 67. und 74. Minute in die Partie kamen, zeigten eine starke Leistung. Kevin Sessa und Stefan Schimmer waren am 2:2 beteiligt, Omar Traore erzwang das Eigentor von Matthias Ginter zum 3:2. „Von der Bank kam richtig Schub“, lobt Schmidt, der auch Dynamik und Tempo hervorhob. Was dem FCH bis dahin gefehlt hatte: Torbeteiligungen von eingewechselten Spielern. „Es ist auch Zeit geworden, dass die Mannschaft einen richtigen Impuls bekommt“, freut sich der FCH-Coach.

Eine neue, alte Stärke bleibt: die betonte Bescheidenheit. Die Frage, ob denn noch Zweifel am Klassenerhalt bestehen könnten, beantwortet Eren Dinkçi nüchtern: „Wir haben noch nicht einmal die Hinrunde zu Ende gespielt und haben die Hälfte der besagten Punkte“ (die zum Klassenerhalt reichen sollten). Aber: „Wenn wir genauso weiter machen, bin ich mir ziemlich sicher, dass es reichen wird.“ Auch Tim Kleindienst findet, dass 20 Punkte noch nicht so aussagekräftig seien. Und er warnt, dass die gegnerischen Teams in der Rückrunde besser auf den FCH eingestellt sein werden.

Ähnlich sieht es Frank Schmidt: „Jeder muss sich weiter beweisen, jeder muss versuchen, sich auf Bundesliganiveau weiterzuentwickeln. Wie wir das als Trainerteam auch machen müssen. Für den Moment ist es eine absolut coole Sache. Das Entscheidende ist nicht, wie du nach der Hälfte eines Rennens da stehst, sondern wie es am Ende der Saison ist.

Und dann, spätestens mit dem Klassenerhalt, wird sich wohl auch das Bild des FCH wandeln. Weg vom teilweise noch unterschätzten Underdog hin zum respektablen Bundesligisten.