Auch 60 Jahre nach ihrem Coup ist bei den Spielern die Erinnerung nicht verblasst: Am 21. Juni 1964 gelang der A-Jugend des VfL Heidenheim im Endspiel um die württembergische Meisterschaft eine faustdicke Überraschung. In Unterkochen wurde Serienmeister VfB Stuttgart mit 2:1 besiegt. Jetzt trafen sich sieben der verbliebenen Helden von damals zum Wiedersehen.
Harry Schneider, Mittelstürmer des erfolgreichen Heidenheimer Nachwuchses, hatte das Treffen im „Albstüble“ mit anschließendem Besuch des FCH-Heimspiels gegen Mainz 05 organisiert. Fast alle, die noch am Leben sind, waren beim Nostalgie-Meeting dabei. Einzige Ausnahme war der erfolgreichste von ihnen: Horst Blankenburg, später Weltklasse-Libero beim europäischen Topteam Ajax Amsterdam, musste trotz Anmeldung kurzfristig aus privaten Gründen den Flug von seiner spanischen Wahlheimat nach Deutschland absagen.
Natürlich wurden bei dem Treffen vor allem Erinnerungen an 1964 ausgetauscht. Die A-Jugend des VfL holte sich zunächst den Titel in ihrer Bezirksstaffel, ließ Teams wie Ulm und Kirchheim hinter sich und qualifizierte sich schließlich fürs Endspiel gegen den VfB Stuttgart. Der Nachwuchs der Bad Cannstatter galt auf württembergischer Ebene als Maß aller Dinge, sozusagen das Bayern München der 16- bis 18-Jährigen.
Peter Schwarz trifft zur Führung
„Aber wir waren sehr gut vorbereitet und hatten eine starke Abwehr“, erinnert sich Harry Schneider. „Wir sind über uns hinausgewachsen“, ergänzt Klaus Bodmer, der rechte Verteidiger, der es später als Schiedsrichter bis in die 2. Liga schaffte. Nachdem der VfL einige bange Minuten überstanden hatte, wurde der Außenseiter zunehmend frecher und ging durch einen Weitschuss von Peter Schwarz in Führung.
Wolfgang Staiger, der im vergangenen Jahr verstorbene spätere SPD-Landtagsabgeordnete, erhöhte 20 Minuten vor Schluss auf 2:0. Der Stuttgarter Anschlusstreffer des Halbrechten Frey fiel erst kurz vor dem Abpfiff und konnte den Heidenheimern den Sieg nicht mehr streitig machen.
Jeder bekam ein halbes Hähnchen und ein Bier.
Klaus Bodmer über die „Siegprämie“
Die HZ berichtete von 2.200 Zuschauern im Hesselbachstadion, davon 1.500 Heidenheimer Anhänger. Die Rede war von einer – für damalige Zeiten – „fast endlosen Autokolonne, die sich am Sonntagmorgen von Heidenheim aus in Richtung Unterkochen zog“. Dem umjubelten Triumph vor den Toren Aalens folgte die Heimfahrt an die Brenz. Und da gab es dann die erste Siegprämie, wie sich Klaus Bodmer erinnert: „Es war im damaligen Café Zugschwert. Jeder bekam ein halbes Hähnchen und ein Bier.“
Doch die Feierlaune wurde wenige Tage später überschattet von einem überaus tragischen Ereignis. Es folgten die Spiele um die süddeutsche Meisterschaft, und bei der Rückfahrt aus dem fränkischen Treuchtlingen, wo die Heidenheimer dem 1. FC Nürnberg mit 0:5 unterlagen, kam es zu einem folgenschweren Verkehrsunfall, bei dem VfL-Halbstürmer Klaus Klein sein Leben verlor.
„Er saß mit Horst Blankenburg im gleichen Pkw“, erinnert sich Klaus Bodmer. Während der spätere Weltklasse-Fußballer nur leichte Blessuren davontrug, erlag Klein seinen schweren Verletzungen. „Das war natürlich ein Riesenschock für uns alle“, erzählt Harry Schneider. Im Bus war man gemeinsam nach Treuchtlingen gefahren. Weil das Heidenheimer Bus-Unternehmen Wahl das Transportfahrzeug aber gleich wieder benötigte, mussten die Rückfahrten in privaten Fahrzeugen erfolgen.
Noch unter dem Eindruck dieses tragischen Ereignisses absolvierte der VfL Tage später in Pforzheim die weiteren Spiele gegen den Karlsruher SC und gegen Eintracht Frankfurt, verlor beide Partien und verabschiedete sich aus dem weiteren überregionalen Titelrennen.
Was in Erinnerung blieb, ist indessen auch so manche Anekdote am Rand. Klaus Bodmer beispielsweise bekam es gegen Nürnberg mit dem trickreichen Georg („Schorsch“) Volkert zu tun. Der spätere Nationalspieler narrte seinen Heidenheimer Gegenspieler mit ein paar Finten, worauf Bodmer zu ihm sagte: „Wenn Du das noch einmal machst, landest Du auf der Aschenbahn.“
Tatsächlich stoppte der VfL-Verteidiger seinen Kontrahenten danach mit einem groben Foul – und kam mit einer Verwarnung davon. Dass er nicht vorzeitig duschen musste, hatte Klaus Bodmer nach eigener Einschätzung wohl vor allem der Tatsache zu verdanken, dass der damalige Schiedsrichter Fischer Bodmers Vater gut kannte, der in der Oberliga (seinerzeit die höchste deutsche Spielklasse) als Linienrichter im Einsatz war.
Torhüter Erhard „Fiddi“ Kraus nicht mehr dabei
Inzwischen sind einige der Heidenheimer Meistermannschaft von 1964 verstorben, zuletzt musste man am 31. März von Erhard („Fiddi“) Kraus, dem Torhüter, Abschied nehmen. „Er war wirklich ein sehr guter Schlussmann. Zum Sieg gegen den VfB Stuttgart hat er wesentlich beigetragen“, sagt Harry Schneider über den Keeper aus Schnaitheim, der später auch beim VfR Aalen im Tor stand. „Wir waren ein verschworener Haufen“ nennt der Organisator des Nostalgie-Treffens das Erfolgsrezept von 1964. Trainiert wurden die Jungs von Richard Reichenbacher, der gleichzeitig für die erste Mannschaft des VfL in der 1. Amateurliga die Kickstiefel schnürte.
Reichenbacher trug übrigens den Spitznamen „Sally“, wie auch seine Kicker selten mit dem Vornamen angesprochen wurden: Horst Blankenburg etwa hieß „Blanky“ oder auch „Schrank“ aufgrund seiner Zweikampfstärke, Klaus Bodmer wurde „Gummi“ genannt, Peter Schwarz „Bebbele“, Harry Schneider „Joe“ und Rainer Schulz „Birnle“.
Uwe Zellmer: Probetraining beim FC Bayern München
Gespielt wurde 1964 noch im sogenannten WM-System mit zwei Verteidigern, einer dreiköpfigen Läuferreihe und einer fünfköpfigen Offensive. Demzufolge sah die taktische Ausrichtung des VfL im Finale gegen den VfB Stuttgart so aus: Kraus – Bodmer, Gaschler – Schulz, Blankenburg, Schwarz – Staiger, Zellmer, H. Schneider, Klein, Wagner.
Verletzungsbedingt musste Stammspieler Dieter („Didi“) Schneider im Finale passen. Zur Ergänzung des personell eher dünnen Aufgebots wurde mit Jürgen Sturm auch noch ein 14-jähriger B-Jugendlicher in den Kader genommen. Im Halbfinale kam er zum Einsatz, weil sich Harry Schneider den Finger gebrochen hatte.
Zu den Spielern, die später ungewöhnliche Karrieren machten, gehört Uwe Zellmer. Er war Studenten-Nationalspieler, nahm an zwei Europameisterschaften teil und absolvierte ein Probetraining bei Bayern München. Nach dem Fußball widmete er sich vor allem der Kultur als Mitbegründer und Präsident des Theaters Lindenhof in Melchingen.