Die tapferen Heidenheimer: Warum sich der FCH in der Bundesliga nicht verstecken muss
Die müssen doch einen Zaubertrank getrunken haben: Anders konnten sich viele Experten, die aus der Ferne in Richtung des Schlossbergs geschaut hatten, den Aufstieg des 1. FC Heidenheim nicht erklären. Geht der Blick auf die Konkurrenz in der Bundesliga, nimmt der FCH tatsächlich die Rolle des „Gallischen Dorfes“ ein, wie man es aus den Asterix-Comics kennt. Schon in der Vorsaison blieben die Häuptlinge Holger Sanwald und Frank Schmidt – im Comic würde sie wohl „Machtwunderwahrix" und „Erfolgmöglichmacherix“ heißen - und ihre Mannen fast unbezwingbar, der Schlossberg wurde eine schier uneinnehmbare Festung.
In der neuen Spielzeit braucht es neue Heldentaten, um sich nicht von den übermächtigen Vereinen wieder aus der Liga drängen zu lassen. Allein an den wirtschaftlichen Voraussetzungen gemessen müsste sich der FCH im kommenden Sommer auf einem der letzten Plätze wiederfinden.
Doch: Nicht nur die widerspenstigen Gallier haben bewiesen, dass zahlenmäßige Unterlegenheit mit Tapferkeit, Mut und Cleverness ausgetrickst werden kann. Die Bundesliga und der internationale Fußball blicken auf viele Vorgänger zurück, die als Außenseiter Außergewöhnliches geschafft haben.
Auch wenig Geld schießt in der Bundesliga Tore
Trifft Harry Kane nun 20, 25, 30 oder 35 Mal in seiner ersten Saison für den FC Bayern? Oder besser gesagt: Wie viele Tore bekommen die Münchner für die rund 100 Millionen Euro, die sie für den englischen Superstar bezahlt haben? Auch ohne Kane wären sie das Maß aller Dinge gewesen. Doch nicht nur bei den Transfers zeigen sich Unterschiede. Monacum - lateinisch für München – darf mit einem Mannschaftswert von rund einer Milliarde Euro (laut „transfermarkt.de“) als das mächtige Rom gesehen werden. Doch selbst die geographischen Nachbarn vom VfB Stuttgart (Stutgardia) und FC Augsburg (Augusta Vindelicum) überragen den FCH - dessen Heimatregion von den Römern als Aquileia bezeichnet wurde - in Sachen Marktwert und Transferbudget um ein Vielfaches. Die beiden Klubs, die in der Vorsaison knapp dem Abstieg entgangen waren, werden dem Konkurrenten von Ostalb in den direkten Duellen gerne sechs Punkte abknüpfen wollen.
Der FCA und der VfB – beide mit einem Marktwert jenseits der 100 Millionen - haben sich für zehn Millionen Euro und mehr verstärkt, die Kosten der sieben Neuzugänge der Heidenheimer liegen bei etwas mehr als zwei Millionen. Ähnliche Ausgaben hatten nur der VfL Bochum und Werder Bremen (je rund zwei Millionen). Und gerade die Bremer haben es in der Vorsaison bewiesen, wie es als Aufsteiger geht: Klassenverbleib geschafft und der Torschützenkönig kam mit Niklas Füllkrug auch von der Weser. Dem VfL gelang 2003/04 das gleiche Kunststück, die Bochumer wurden als Aufsteiger Neunter und Thomas Christiansen Toptorjäger der Liga. Warum soll sich das 20 Jahre später nicht einfach wiederholen?
Ob Neunkirchen oder Lens: Es kommt nicht auf die Größe an
Heidenheim mag mit seiner Einwohnerzahl von rund 50.000 im Vergleich zu den Metropolen des Landes, die mitunter mit zwei Vereinen gleichzeitig in der Bundesliga vertreten waren, den Eindruck eines "Dorfklubs" erwecken. Doch Größe bringt nicht automatisch den Erfolg. Den Beweis lieferten jüngst die großen Vereine aus Hamburg und Berlin, die seit einigen Wochen eine Liga tiefer gegen den Ball treten. Das kleinste Städtchen der Bundesliga ist Heidenheim derweil nicht. Sinsheim – zu dem Hoffenheim mit seiner TSG gehört – zählt gerade einmal rund 36.000 Einwohner. Früher tummelten sich mit Unterhaching (22.000 Einwohner), Bad Homburg (42.000) und Neunkirchen (46.000) noch drei weitere U-50.000-Städte in der höchsten deutschen Spielklasse.
Keiner der genannten Vorgänger stieg nach seiner Premierensaison in der Bundesliga ab. In Gallien – wie die Römer das Gebiet zwischen den Alpen und den Pyrenäen tauften – gab es in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreiche Kleine, die Großes schafften. In der ersten französischen Liga ärgerte der Racing Club aus dem 32.000 Einwohner zählenden Lens den schier übermächtigen Paris St. Germain FC im Titelrennen bis zum Ende der Saison. Eine ähnliche Heldengeschichte schrieb der AJ Auxerre: Das Städtchen im Burgund (34.000 Einwohner) schnappte sich im Jahr 1996 die sensationell die Meisterschaft.
Siege gibt es auch in kleinen Arenen
Auch wenn ein großer Andrang herrschen wird, muss um die Voith-Arena kein Zaun gebaut werden. Mit seinen 15.000 Zuschauern kommt das Heidenheimer Spielstätte im Ligavergleich doch klein daher. In sechs Bundesliga-Stadien würde die gesamte Bevölkerung von Heidenheim Platz nehmen können. Siege garantiert das aber nicht. Auch in der zweiten Liga war die Schmidt-Elf mit dem kleinsten Stadion das beste Heimteam.
Unter den Aufsteiger in Europa gibt es zahlreiche Vereine, deren Arenen deutlich weniger Fans Platz bieten. So würden die Kapazität der 2500 Zuschauer fassenden Heimstätte des türkischen Vereins Pendikspor sechsmal in der Voith-Arena passen.
In der englischen Premier League fließen zwar bei Transfers schwindelerregende Summen, doch nicht in allen Bereichen herrscht Größenwahn. Liganeuling Lutton Town trägt seine Heimspiele in der Kenilworth Road aus, die nur etwas mehr als 10.000 Plätze fasst. Viele Siege vor kleiner Kulisse feierten auf dem Weg zu ihren Aufstiegen auch der Almere City FC aus den Niederlanden (Stadionkapazität: 4500), Blau-Weiß Linz (Österreich/ 5595), Moreirense FC (Portugal/6153) und der NK Rudes (Kroatien/2000).
Erweitert der 1. FC Heidenheim die gute Bilanz der Bundesliga-Neulinge
Und war es am Ende jeder Asterix-Geschichte nicht immer so, dass die Helden des Dorfes umjubelt heimkehrten und die Abenteuer mit einem rauschenden Fest feierten. Bei einem weiteren Jahr in der Bundesliga würden die Häuptlinge Sanwald und Schmidt sicherlich die Korken knallen lassen und mit einem "Veni, Vidi, Vici" anstoßen.
Wie die vergangen 20 Jahre bewiesen haben, stehen die Chancen für die mutigen Heidenheimer nicht schlecht. Acht Bundesliga-Neulinge gab es in diesem Zeitraum, sechs schafften in ihrer Premierensaison den Klassenverbleib, der FCH könnte die Nummer sieben sein – ganz ohne Zaubertrank.