Alles war irgendwie anders beim SC Freiburg, dem Gegner des 1. FC Heidenheim am Samstag, 21. September (15.30 Uhr, Voith-Arena). Als die Schwarzwälder 1993 erstmals in die Bundesliga aufstiegen, etablierten sie unter Erfolgstrainer Volker Finke nicht nur das Kurzpassspiel im Fußball-Oberhaus, was ihnen den Spitznamen „Breisgau-Brasilianer“ einbrachte. Sie standen auch abseits des Rasens für eine ungewöhnliche Fußball-Kultur.
Die Fan-Gemeinde etwa gab sich intellektuell. Als der VfB Stuttgart an der Dreisam gastierte, sah man in Anlehnung an die damalige DFB-Antirassismus-Kampagne „Mein Freund ist Ausländer“ Plakate mit der Aufschrift „Mein Freund ist Schwabe“. Und der niederländische Top-Stürmer des FC Bayern München, Roy Makaay, wurde einst als „Rheuma Kai“ willkommen heißen.
Und dann war da noch dieser Präsident: Achim Stocker. Als südbadischen Amateurligisten hatte er den Sportclub 1972 übernommen. Wer damals in Freiburg zum Fußball ging, bevorzugte mehrheitlich das Mösle-Stadion, wo Ortsrivale FFC zu Hause war. Der Freiburger Fußball-Club (heute nur noch Verbandsligist) hatte im Gegensatz zum Sport-Club Freiburg eine glorreiche Vergangenheit, war 1907 sogar mal Deutscher Meister.
Doch unter Stocker begannen sich die Verhältnisse zunehmend zu ändern. Der gebürtige Konstanzer kümmerte sich um alles. Er klebte Werbeplakate zu den Heimspielen seines Clubs an Litfaßsäulen, schmierte Brote für die VIPs im Stadion und schaute sich in der Freizeit nach Talenten um (unter anderem holte er den späteren Bundestrainer Joachim Löw).
Freiburgs-Kulttrainer Christian Streich berichtete später in einem Interview mit dem Magazin „11 Freunde“ darüber, dass Stocker noch in Zweitliga-Zeiten seine Kaffeemaschine von zu Hause zum Spiel mitgebracht habe, um „für die zwei Leute, die darüber geschrieben haben“ Kaffee zu kochen: „Danach hat er drei Stunden die Straße gekehrt und die Maschine wieder mitgenommen.“
Der Präsident ist gar nicht live dabei
Um den Genuss, „seinen“ Sportclub spielen zu sehen, brachte sich der Langzeit-Präsident (37 Jahre) kurioserweise selbst. Als der SCF im ersten Bundesliga-Jahr bei seinen Heimspielen reihenweise die Liga-Größen schlug (von Bayern München über Bayer Leverkusen bis zum VfB Stuttgart), war Stocker gar nicht im Stadion.
Ich rege mich im Stadion zu sehr auf und bin nervlich nicht in der Lage, so ein Spiel anzugucken.
Achim Stocker, ehemaliger Präsident des SC Freiburg
Stattdessen ging er mit seinem Hund Tommy spazieren. „Ich rege mich im Stadion zu sehr auf und bin nervlich nicht in der Lage, so ein Spiel anzugucken“, begründete er die ungewöhnliche Enthaltsamkeit. Statt vor Ort zu sein, informierte sich Stocker hinterher per Videotext über das Ergebnis.
„Er hat sein Herz dem SC Freiburg gegeben“, hieß es vonseiten des Vereins, als am 1. November 2009 die Nachricht vom Tod des damals 74-Jährigen die Runde machte. Das Herz, dem er den Stress des Live-Erlebnisses im Stadion nicht zumuten wollte, hatte infolge eines Infarktes aufgehört zu schlagen.
Die Philosophie Stockers aber lebt in Freiburg bis heute. Am neuen Stadion trägt eine Straße den Namen des einstigen Direktors der Oberfinanzdirektion Freiburg. Beruflich war er seinem Präsidenten-Rivalen vom VfB Stuttgart, dem Finanzminister Gerhard Mayer-Vorfelder, unterstellt. Die badisch-schwäbische Dauerfehde hat Stocker dennoch nie befeuert.
Im Gegenteil: „Mit Schwaben habe ich nur gute Erfahrungen gemacht“, sagte er einst in einem Interview mit dem Schreiber dieser Zeilen – und dachte dabei sicher auch an die Zwillinge Andreas und Michael Zeyer aus Auernheim, die in Freiburg wohl die schönsten Jahre ihrer Profikarriere absolvierten.
Serie zu Heimspielen des 1. FC Heidenheim
Unter dem Schlagwort „Kuriositätenkiste“ stellt die Heidenheimer Zeitung zu den jeweiligen Bundesliga-Heimspielen des FCH Anekdoten vor, die mit dem jeweiligen Gegner zu tun haben. Im zweiten Teil geht es um Freiburgs legendären ehemaligen Präsidenten Achim Stocker. Weiter geht es mit einer Geschichte über RB Leipzig, der am 6. Oktober in Heidenheim zu Gast ist.