Steiler hätte der Weg kaum sein können: Als Aufsteiger übersprang der 1. FC Heidenheim selbst die größten sportlichen Hürden, schaffte spektakuläre Siege und startet in der neuen Saison in der europäischen Conference League. Doch noch bevor die zweite Bundesligasaison begonnen hat, bremst die Realität die in fast eineinhalb Jahren immer größere gewordene Euphorie etwas aus.
Der millionenschwere Transfer von Angreifer Tim Kleindienst zum Liga-Konkurrent Borussia Mönchengladbach, der am Freitagvormittag verkündet wurde, reiht sich an weitere ungewollte Abgänge ein. Dazu ein Blick auf die Gründe für den Verkauf des Toptorjägers sowie die Folgen und Lösungsansätze für die kommenden Wochen.
Die Gründe für den Abgang: die finanzielle Überlegenheit der Bundesliga-Konkurrenten
Dass die Spieler den FCH verlassen und zu Bundesliga-Konkurrenten wechseln, bezeichnete Vorstandschef Holger in seinen Worten zum Kleindienst-Abgang als „sehr bitter“, lieferte aber gleich den Hintergrund, warum die Heidenheimer nur tatenlos zuschauen konnten. „Seine letzte Vertragsverlängerung im vergangenen Sommer beinhaltete eben diese Ausstiegsklausel, die Borussia Mönchengladbach nun gezogen hat, weshalb wir Tims Entscheidung akzeptieren müssen.“ Es brauchte schon viel Überredungskraft – und eben das Zugeständnis der Ausstiegsklausel -, um Kleindienst bereits damals vom Bleiben zu überzeugen.
Denn: Finanziell kann der FCH mit einem Großteil der Bundesliga-Konkurrenten nicht mithalten und wird das mittelfristig auch nicht können. Im HZ-Interview bestätigte Sanwald, dass Kleindiensts neuer Club den mehrfachen Umsatz des FCH verbucht. Und mit entsprechenden Anreizen können die Gladbacher dann eben auch locken. „Ich habe mich dazu entschieden, jetzt im besten Fußballeralter nochmal eine neue Herausforderung in meiner Karriere anzugehen“, begründete Tim Kleindienst seinen Schritt an den Niederrhein. Eine Herausforderung beim 14. dieser Saison, der langfristig höhere Ziele als der FCH hat und schlichtweg höhere Gehälter zahlen kann.
Die Folgen des Abschieds: Der FCH muss mehr als 20 Tore kompensieren
Sportlich lässt sich der Wert von Tim Kleindienst nicht nur an seinen Toren messen, mit seiner Einstellung, seinem Einsatz und seiner Außenwirkung riss er seine Mitspieler zudem auf dem Spielfeld mit. „Tim war in den letzten Jahren auf dem Platz einer der ganz wichtigen Faktoren für uns, weshalb der Aufstieg in die Bundesliga und das Erreichen der Conference League überhaupt möglich waren“, würdigte Holger Sanwald den besten FCH-Angreifer der vergangenen drei Spielzeiten. Dieses Bündel an wichtigen Eigenschaften werden die Heidenheimer mit einem Transfer nicht ersetzen können. Zudem hinterlässt nicht nur der Verlust des treffsichersten Spielers ein Loch im Kader.
Mit den zusätzlichen Abgängen von Eren Dinkci, der nach seiner beendeten Leihe einen Wechsel zum SC Freiburg einem festen Verbleib auf dem Schlossberg vorzog, und Kevin Sessa (ablösefrei zu Hertha BSC Berlin) gilt es, 25 geschossene Tore aus der Erfolgssaison zu kompensieren. Zudem wird der Abgang Kleindiensts die Chancen auf ein Bleiben von Niklas Beste nicht erhöhen. Zwar wurde es bei keinem der Gerüchte um den Topscorrer bisher ernst, die Dynamik auf dem Transfermarkt, der bis zum 1. September geöffnet ist, wird aber mehr und mehr zunehmen – wohl schon rund um den Trainingsauftakt Anfang Juli. Doch auch eine positive Folge gibt es: Die Rekordablöse von rund sieben Millionen Euro kann der FCH nun zumindest in Teilen selbst wieder investieren.
Die Lösungen für die neue Saison: Der FCH hatte und hat viel Planungszeit
Ein Trumpf in dieser Bundesliga-Realität könnte der Realismus der Heidenheimer sein. Der Abgang von Tim Kleindienst kommt für die Verantwortlichen nicht überraschend. Auch über die Zukunft von Eren Dinkci herrschte früh Klarheit. Mit der zeitigen Wahrnehmung, dass der FCH erstklassig bleibt, wurden bereits sechs Spieler, die vornehmlich aus der zweiten und dritten Liga kommen, verpflichtet. Dabei darf und wird es auch nicht bleiben. Holger Sanwald, der selbst einen „heißen Transfersommer“ angekündigt hatte, stellt mit den neusten Einnahmen weitere Verpflichtungen in Aussicht. „Jetzt gilt es, mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich durch diesen Transfer ergeben, unseren Kader gezielt zu verstärken“, so der Vorstandsvorsitzende, der jetzt wie Kleindienst vor einer neuen Herausforderung steht. Nach der erfolgreichen Konstruktion eines Bundesliga-Kaders ohne nennenswerte Abgänge vor rund zwölf Monaten bleiben nun noch rund zehn Wochen, um dieses Kunststück unter erschwerten Bedingungen zu wiederholen.
Zu den Abgängen gesellt sich noch eine weitere Aufgabe. Eine mögliche Mehrfachbelastung in der Conference League, die im Falle des Erreichens der Gruppenphase frische Millionen, aber auch weitere acht Partien im Spielplan bringen würden. Es gibt einfachere Ausgangssituationen, um in die kommenden Wochen zu gehen. Aber einfach hatten es Holger Sanwald und Frank Schmidt im Vergleich zur Konkurrenz in den vergangenen Jahren eigentlich nie – und die Ziele wurden trotzdem erreicht.
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