HZ-Serie „FCH-Legenden“

Vereinslegende Ingo Feistle spricht mitreißend über seine Zeit beim 1. FC Heidenheim und seine schwere Verletzung

Was machen ehemalige Spieler des 1. FC Heidenheim heute beruflich? Um diese Frage dreht sich die HZ-Serie „FCH-Legenden“. Ingo Feistle, der in der Drittligasaison 2009/10 für den FCH alle 38 Spiele über 90 Minuten absolvierte, über sein Karriereende mit 32 Jahren, einen wegweisenden Saunabesuch seines Vaters und seine Tätigkeit beim Finanzamt:

Lange Zeit war er Mister Zuverlässig beim 1. FC Heidenheim und berühmt für seine Grätsche. Vor knapp zehn Jahren beendete Ingo Feistle seine Karriere, während der er auch noch mit Frank Schmidt zusammen gespielt und mit diesem eine Zeit lang auch eine Fahrgemeinschaft gebildet hatte. An sein einziges Tor in der 3. Liga gegen einen gewissen Sven Ulreich erinnert sich der heute 42-Jährige noch ganz genau.

Herr Feistle, früher haben Sie bei der Arbeit kurze Hosen getragen, heute sind's eher lange
Hosen. Wie war die Umstellung?

(lacht) Ich bin gar nicht verpflichtet, eine lange Hose zu tragen. Bei uns ist es relativ entspannt. Es ist nicht der typische Beamtenjob. Hemd, Krawatte und lange Hose müssen nicht sein. Bei uns ist es ganz leger.

In kurzer Hose im Finanzamt?
Im Sommer, natürlich. Wir haben in dem Sinn keinen Kundenverkehr.

Mit dem Leben als Fußballprofi könnte man auch Partys und etwas Rambazamba verbinden. Und jetzt Finanzamt …
Fußballprofi ist auch ein Job, den man erledigen muss. Und während Trainingseinheiten oder bei Spielen war auch kein Rambazamba in dem Sinn. Da hat’s auch geheißen: Du musst deine Arbeit machen. Spaß gehört dazu, aber beim Fußball war es auch nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen. Während dem Training ging’s schon drum: Wer spielt am Wochenende? Wir müssen die drei Punkte holen. Jetzt ist es mehr die Büroarbeit.

Da geht's lang: Ingo Feistle vor dem Finanzamt-Schild in Dillingen. Eine Anfrage, einen Blick ins Gebäude werfen zu dürfen, lehnte Feistle charmant ab: Steuergeheimnis. Foto: Edgar Deibert

Früher waren Sie bei der Arbeit viel draußen an der frischen Luft. Jetzt nur noch drin?
Ja, ich bin hier in der Veranlagungsstelle, nicht im Außendienst. Im Innendienst bin ich acht, neun Stunden am Tag im Büro.

Was machen Sie genau?
Ich bearbeite Einkommensteuererklärungen von Einzelunternehmen oder Menschen, die eine Umsatzsteuer haben. Keine GmbHs oder Aktiengesellschaften. Die werden in Nördlingen bearbeitet. Ich habe einen bestimmten Bereich, 4000 bis 5000 Signale, die man Jahr für Jahr durcharbeiten muss.

Also keine Einkommensteuererklärungen von Arbeitnehmern, sondern die größeren Sachen?
Ja, die größeren Sachen, die mit Umsatzsteuer verbunden sind.

Manche würden bestimmt sagen, dass es eher langweilig ist?
Nein, es ist interessant und auch abwechslungsreich. Die Fälle unterscheiden sich. Und es ist ja nicht nur einen Haken hinmachen oder keinen Haken hinmachen. Dahinter steckt auch der Austausch mit den Steuerpflichtigen oder Steuerberatern. Oft ist die Rechtslage so, dass es nicht nur Schwarz oder Weiß gibt. Es ist nicht so öde, wie es vielleicht klingen mag.

Wie lautet Ihre Berufsbezeichnung?
Steuer-Oberinspektor schimpfe ich mich. (lacht) Ich bin Diplom-Finanzwirt.

Schöne Fotos entstehen auch in Wuppertal: Im Dezember 2009 bejubelte Ingo Feistle einen Auswärtssieg des damaligen Drittliga-Aufsteigers 1. FC Heidenheim und strahlte dabei in die Kamera des Fotografen. Foto: Eibner

Sie waren Fußballprofi, haben vom Fußball gelebt. Wann war für Sie klar, dass es nicht immer so weitergehen wird? Ab wann mussten Sie sich mit einer beruflichen Alternative auseinandersetzen?
Durch die Verletzung 2013 war relativ klar, dass es im Fußball auf dem Level nicht mehr weitergehen kann. Dann musste ich mir überlegen, was ich machen möchte. Und ich wusste lange auch nicht, was ich machen will. Meine Frau Nicki hat vorgeschlagen, dass ich eine Beamtenlaufbahn einschlagen könnte.

Haben Sie vorher schon studiert?
Ich hatte mal ein Maschinenbaustudium nebenher angefangen. Das war aber zu Oberligazeiten. Jetzt weitere vier, fünf Jahre ein Studium ohne ein Einkommen waren für mich aber keine Option. 2012 hatten Nicki und ich mit dem Hausbau begonnen und wollten eine Familie gründen.

Wie kam es zur Verletzung?
Das war im Oktober 2013. Wir hatten in der Voith-Arena ein Freundschaftsspiel gegen Ingolstadt. Da ist mir ein Gegenspieler bei einer Grätsche so unglücklich hinten draufgeflogen, dass ich mir hinten am Sitzbein die komplette Muskulatur vom Oberschenkel abgerissen habe.

Im Gleichschritt: Ingo Feistle und Marc Schnatterer im Juli 2010. Foto: Eibner

Schmerzhaft?
(lacht) Ja, das kann man sagen. Ich konnte nicht mehr richtig laufen. Unter der Dusche hat’s mir kurz den Kreislauf zusammengehauen.

Wie ging es danach weiter?
Anfangs war es schon ein Schock und man tut alles dafür, damit man noch einmal zurückkommt. Irgendwann merkt man aber, zum Beispiel bei den Gesprächen mit den Ärzten oder bei den Übungen, dass die letzten 20 Prozent, die fehlen, nicht mehr so schnell wiederkommen.

Ein Fußballprofi lebt aber von seiner Gesundheit und seiner Fitness …
Ja, es war auch so, dass mein Vertrag ein Dreivierteljahr später Ende der Saison 2013/14 auslief. Ich war nicht mehr unter den ersten Elf, damals hat Philip Heise auf meiner Position links in der Abwehrkette gespielt. Da habe ich schon gedacht, dass es schwierig mit einem Anschlussvertrag wird.

Sie mussten sich mit einem Karriereende auseinandersetzen.
Mir fiel es eigentlich nicht so schwer, zu begreifen, dass es wahrscheinlich jetzt aufgrund der Verletzung aus ist. Weil es einfach nicht mehr geht. Es wäre vielleicht etwas anderes gewesen, wenn ich fit gewesen wäre und es hätte geheißen: So, wir brauchen dich nicht mehr, du bist nicht mehr gut genug. Das wäre vielleicht härter gewesen wie die Tatsache, dass es aufgrund der Verletzung nicht mehr geht.

Prost: Bei der Zweitliga-Aufstiegsfeier des 1. FC Heidenheim in der Voith-Arena im Mai 2014 war Ingo Feistle natürlich dabei. Foto: Eibner

Am Ende der Saison 2013/14 ist der FCH in die 2. Liga aufgestiegen. Sie hatten einen Kurzeinsatz. Fühlen Sie sich als Aufsteiger?
Schon. Es ist vielleicht etwas anderes, wenn man Stammspieler ist oder 25 bis 30 Spiele macht. Trotzdem war ich ja Teil der Mannschaft. Klar, ist es immer etwas anderes, wenn man selbst auf dem Platz steht. Trotzdem war es eine richtig geile Sache, diese Feier auf dem Rathausplatz, und ein schöner Abschluss für mich. Es war einfach stimmig. Ich bin auch nicht wehmütig, es war einfach schön.

In der ersten Drittligasaison 2009/10 haben Sie alle 38 Spiele über die vollen 90 Minuten gemacht. Wie geht das?
So schlecht kann ich nicht gewesen sein. (lacht) Ich war zwar immer mal wieder knapp vor einer fünften gelben Karte, aber ich habe es doch irgendwie geschafft. Bis zur großen Verletzung war ich eigentlich nie verletzt. Der Körper muss mitspielen.

Sie sind ohne viele Verwarnungen ausgekommen, was doch ungewöhnlich für Ihre Position war …
Ja, ich war doch derjenige, der öfter mal gegrätscht ist. Ich war nah am Gegenspieler. Und wenn einer dann doch mal zu schnell war, musste ich ihn abgrätschen. Meistens war ja aber der Ball im Spiel …

Dynamisch: Ingo Feistle im Oktober 2011. Foto: Eibner

In dieser Saison haben Sie auch Ihr einziges Drittligator gemacht, beim 1:1 beim VfB Stuttgart II. Der „Kicker“ schrieb: „Feistle hämmerte nach Kopfball-Ablage von Essig das Leder aus knapp 18 Metern in den rechten Torwinkel.“
Gegen Sven Ulreich, der heute bei FC Bayern spielt.

Davon erzählen Sie noch heute?
Ja, natürlich. Wobei bei mir im Büro nur Damen sind. Die interessiert das weniger. (lacht)

Dabei wären Sie fast gar nicht Fußballprofi geworden …
Beim FC Augsburg trainierte ich unter Armin Veh eigentlich nur noch und spielte ab und an mal in der zweiten Mannschaft. Ich hatte keine Lust mehr und wollte aufhören. Damals habe ich noch bei meinen Eltern gewohnt und musste nicht nebenbei noch arbeiten. Aber ich habe mir Gedanken über ein Studium gemacht.

Im Oktober 2011 traf der 1. FC Heidenheim im DFB-Pokal auf Borussia Mönchengladbach. Und Ingo Feistle damit auch auf Marco Reus (rechts). Foto: Eibner

Weiter Fußball spielen oder etwas Vernünftiges machen?
Genau. Und mit Fußball hatte ich zu der Zeit eigentlich abgeschlossen. Zwei Kumpels von mir sind dann nach Glött gegangen und haben zu mir gesagt: Bevor du nichts machst, kick halt etwas mit uns. Das war in der Bezirksliga und eine ganz schöne Umstellung zur Bayernliga.

Im Winter 2005 kamen Sie zum HSB. Wie kam es dazu?
Das war reiner Zufall. Mein Vater war in der Sauna in der Aquarena, wo über die HSB-Fußballer gesprochen wurde. Hans-Peter Neher meinte, dass der HSB ein Problem in der Abwehr hat, und mein Vater sagte nur: Ich hätte da einen. Im Februar 2005 bin ich zum HSB gekommen, damals unter Dieter Märkle in der Oberliga. Ab da lief’s halt.

Ganz genau hingeschaut: Ein Bild aus dem Archiv der Heidenheimer Zeitung zeigt, dass Ingo Feistle zusammen mit Frank Schmidt (links hinten) auflief. Dieses Foto entstand im Februar 2006. Foto: Rudi Weber

Nach Dieter Märkle kam Frank Schmidt. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm?
Frank und ich hatten ja noch zusammengespielt und sind da öfter auch mal zusammen gefahren: Er kam aus Bachhagel, ich aus Dillingen. Mal hat er mich mitgenommen, mal ich ihn.

Als er Trainer geworden ist, ging das nicht mehr, oder?
Meistens sind wir dann getrennt gefahren, außer manchmal zu Spielen.

Schmidt als Trainer, Sie als feste Größe auf der linken Abwehrseite. In der Drittligasaison 2011/12 hätten Sie wahrscheinlich auch die 38 Spiele über die 90 Minuten vollgemacht. In Darmstadt wurden Sie aber zur Halbzeit ausgewechselt. Lag’s an der Leistung oder an einer Verletzung?
Wahrscheinlich eher an der eigenen Leistung. Ich weiß es aber nicht mehr genau. (lacht)

Trainer Frank Schmidt ist dann sehr direkt?
Definitiv. Wenn's scheiße war, sagt er's dir auch. Die andere Richtung aber genauso. Er ist keiner, der darauf wartet, dass er dir einen reinwürgen kann. Diese Offenheit, die er hat, ist auch sehr wichtig.

Ran an den Ball: Ingo Feistle traf im August 2011 mit dem 1. FC Heidenheim auf den SV Werder Bremen um Lennart Thy und Tim Borowski (hinten). Foto: HZ-Archiv/räp

An welches Spiel in Ihrer Karriere erinnern Sie sich besonders gerne?
Das DFB-Pokalspiel gegen Werder Bremen. Das war mit das geilste Erlebnis. Wir lagen als Drittligist 0:1 hinten und haben das Ding gegen die Bundesligatruppe gedreht. Da war im Stadion eine richtig geile Stimmung. Es war ja auch der erste richtig große Erfolg. Oder Auswärtsspiele in Dresden, Aue, Jena. Das war ja Wahnsinn.

Wahnsinnsstimmung herrschte aber auch in der FCH-Kabine, oder?
Ja, Florian Krebs war unser DJ, unser Partymacher. Auch in der FCH-Traditionsmannschaft ist er der DJ, Ballermann-Musik inklusive.

Cooles Arbeitsgebäude: Ingo Feistle vor dem Schloss in Dillingen. Foto: Edgar Deibert

Und was war Ihr Part in der Kabine?
Ich war der Kassenwart, zuständig für die Strafen.

Da hat sich die berufliche Zukunft schon angedeutet?
Genau, da ging’s schon los mit dem Geldeintreiben. (lacht)

Irgendeiner muss es ja machen?
Ja, so ist es. Vorher hatte es Billy Eitel gemacht, und ich habe es von ihm übernommen. Warum auch immer. Es hat aber gut funktioniert.

Mit Frau Nicki und den Söhnen in Mörslingen

Ingo Feistle wurde in Landsberg am Lech geboren worden, kam aber mit zwei Jahren nach Dillingen an der Donau. Zusammen mit seiner Frau Nicki und den beiden Söhnen Lion (7) und Toni (5) lebt der 42-Jährige in Mörslingen, einem Ortsteil der Gemeinde Finningen. Ingo Feistle ist Teil der Traditionsmannschaft des 1. FC Heidenheim.

Laufbahn-Daten:
von 2004/05 bis 2013/14 beim HSB/FCH
76 Ligaspiele für HSB
214 Ligaspiele für den FCH
5 Spiele im DFB-Pokal
dazu zahlreiche Einsätze im WFV-Pokal
1 Tor für den FCH, 5 Tore für den HSB
3. Liga 2009/10 alle 38 Spiele über 90 Minuten

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