Kennen Sie Karl Wald?
Karl Wald war ein Friseur aus Frankfurt am Main, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Lokführer im Bergwerk Penzberg arbeitete. Karl Wald war aber auch Schiedsrichter. Nicht nur irgendeiner, sondern der Erfinder des Elfmeterschießens. Seit 1970 werden Spiele in K.o.-Wettbewerben, die nach regulärer Spielzeit plus Verlängerung unentschieden stehen, durch Strafstoß-Duelle entschieden. Wald sei Dank!
Was hat das mit dem 1. FC Köln, bei dem der 1. FC Heidenheim am Samstag, 13. Januar, um 15.30 Uhr antritt, zu tun? Nun, am Niederrhein wäre man sicherlich auch heute noch froh, wenn diese zündende Idee schon fünf Jahre früher Einzug ins Regelwerk gehalten hätte. Denn der „Effzeh“ musste sich 1965 in einem legendären und nie enden wollenden Europapokal-Viertelfinale drei Partien lang mit dem FC Liverpool ums Weiterkommen streiten, ohne dass es einen Sieger gegeben hatte.
Heutzutage werden solche Angelegenheiten per Elfmeterschießen bereinigt. Und wir wissen inzwischen: Engländer können nicht Elfmeterschießen. Weshalb man vermuten darf, dass Köln damals gewonnen hätte. Doch statt Elfmeterschießen gab es einen Münzwurf, was – zumindest statistisch gesehen – die Chance für Liverpool deutlich erhöhte.
1. FC Köln: Erster Meister der neu gegründeten Bundesliga
Während die Kölner in der laufenden Bundesliga-Saison als Vorletzter um den Klassenerhalt kämpfen müssen, war das vor 60 Jahren noch anders. Souverän sicherten sich die „Geißböcke“ mit dem zukünftigen Weltmeister Wolfgang Overath (1974) und dem ehemaligen Weltmeister Hans Schäfer (1954) den Premierentitel in der frisch gegründeten nationalen Eliteklasse.
Mit dem kahlköpfigen Schwarzwälder Georg „Schorsch“ Knöpfle auf der Trainerbank durften die Kicker aus Müngersdorf nun internationales Fußball-Parkett betreten und bekamen im Viertelfinale des Europapokals der Landesmeister den FC Liverpool zugelost. Was da passierte, sucht in Sachen Dramatik und Kuriosität in der langen Europapokal-Geschichte fraglos seinesgleichen.
Ein "Spion" in Liverpool
Zunächst einmal beordern die Kölner ihren früheren Spieler Georg Stollenwerk als „Spion“ an die Anfield Road. Und der kommt mit der ernüchternden Botschaft an den Rhein zurück, der englische Meister sei quasi unschlagbar.
Die Kölner probieren es trotzdem – und siehe da: Das Hinspiel am 10. Februar 1965 an der altehrwürdigen Radrennbahn endet 0:0. Danach kommt es zur ersten Kuriosität: Das Rückspiel wird 15 Minuten vor Spielbeginn abgesagt; dem Unparteiischen ist die Schneedecke im Liverpooler Stadion zu hoch. Die Zuschauer in der vollbesetzten Arena erleben einen Abpfiff, ohne dass ein Anpfiff erfolgte.
Nächster Versuch: 14 Tage später. Diesmal gibt's einen Anpfiff. Aber als abgepfiffen wird, steht's wieder 0:0. Was nun? Verlängerung?
Die UEFA, schon immer ein Verband mit seltsam knöchernen Vorstellungen, pocht auf ein Entscheidungsspiel auf neutralem Platz. Am 24. März 1965 sehen sie sich zum dritten Mal in Rotterdam wieder: rot-weiße Kölner und rote Liverpooler. Eine unendliche Geschichte.
Immerhin: Diesmal fallen Tore. Liverpool führt 2:0, Köln gleicht zum 2:2 aus. In der anschließenden Verlängerung zappelt keine Kugel mehr im Netz. Zusammenfassend: Stattliche 300 Spielminuten sind nun absolviert, aber kein Sieger ist ermittelt.
Für die Kölner verläuft dieser Europapokal-Abend auch in anderer Hinsicht dramatisch. Verteidiger Wolfgang Weber bricht sich schon vor dem ersten Gegentor bei einem Zusammenprall mit Gordon Milne das Wadenbein. Das Auswechseln war damals noch so unbekannt wie das Elfmeterschießen. Weber, auf dem Spielfeld nicht zimperlich und ganz offensichtlich auch hart im Nehmen, humpelt in die Kabine und lässt sich eine schmerzstillende Spritze verpassen.
Immerhin fällt es nicht ab!
Kabinen-Erkenntnis zur Verletzung von Wolfgang Weber
Dann, beim Stand von 1:2, ist erst mal Pause. Aber nicht für Wolfgang Weber. In der Kabine lässt man den tapferen Recken von der Massagebank springen, um zu testen, ob das Bein auch hält. „Immerhin fällt es nicht ab!“, lautet die Kabinen-Erkenntnis. Aber der angebrochene Knochen ist durch den unmenschlichen Testsprung vollends durch.
Was Weber nicht hindert, aufs Spielfeld zurückzukehren. Um weiteren Flurschaden in der Defensive zu vermeiden, beordert „Schorsch“ Knöpfle seinen Schützling allerdings auf Linksaußen – dorthin, wo Fußball-Weisheiten zufolge ohnehin immer die schrägen Typen zu finden sind. Kurioserweise hat ausgerechnet der wadenbeingeschädigte Aushilfsstürmer Wolfgang Weber nach dem 2:2 durch Hannes Löhr noch zwei Chancen zum Siegtreffer.
Ein Etikettenschwindel: Münzwurf mit einer Holzscheibe
Alles vergebens. Ausgepumpt versammeln sich die Haudegen nach dem dritten Unentschieden am Mittelkreis und harren der Dinge, die nun kommen sollten. Der belgische Schiedsrichter Robert Schaut bittet die Kapitäne zum Münzwurf, was genau genommen ein Etikettenschwindel ist. Weder ein britisches Pfund noch ein deutsches Markstück taugt als fußballerische Schicksals-Währung, sondern eine kleine Holzscheibe.
Und der Unparteiische bestimmt selbst, dass Köln gewinnt, wenn Weiß oben liegt, und Liverpool, wenn Rot oben liegt. Ein unrühmliches Lotteriespiel soll dieses Fußballdrama beenden. Es ist noch nicht die Stunde der Regel-Revolutionäre vom Schlage eines Karl Wald.
Es kommt, wie es kein Krimi-Autor spannender erfinden kann. Beim ersten Wurf bleibt die Scheibe im Morast des Bodens senkrecht stehen. Wie Kölner Augenzeugen später berichteten, hätte sich dieses spielentscheidende Mini-Untensil im Schlamm der Anfield Road ganz langsam in Richtung weiße Seite geneigt. Liverpools Kapitän Ron Yeats ahnt das Unheil und fordert den Schiedsrichter schnell zum Zweitwurf auf.
Auch der Münzwurf geht in die Verlängerung
Und so geht auch der Münzwurf von Rotterdam in die Verlängerung. Der Mann in Schwarz hat offenbar Spaß an diesem seltsamen Roulette, schiebt alle Beobachter mahnend zur Seite und lässt das Holzteilchen abermals durch die Luft wirbeln. Im Dreck der Anfield Road endet das Drama für die Kicker aus der Karnevals-Hochburg Köln, als sei für immer Aschermittwoch: Rot ist oben, Sieg für Liverpool.
Das Ganze hat doch nichts mit Sport zu tun, es darf doch nicht wahr sein, dass nach drei unentschiedenen Spielen in genau fünf Stunden ein Los entscheidet, eine Münze, wie sie Kinder zum Spielen nehmen.
Georg „Schorsch“ Knöpfle, Trainer des 1. FC Köln
Vergebens will sich der Knöpfle-Schorsch die nicht mehr vorhandenen Haupthaare raufen und spricht aus, was in diesem Moment nicht nur alle Kölner denken: „Das Ganze hat doch nichts mit Sport zu tun, es darf doch nicht wahr sein, dass nach drei unentschiedenen Spielen in genau fünf Stunden ein Los entscheidet, eine Münze, wie sie Kinder zum Spielen nehmen.“
1. FC Heidenheim beim 1. FC Köln zu Gast
Für den 1. FC Heidenheim geht die Saison in der Fußball-Bundesliga am Samstag, 13. Januar, weiter. Im ersten Spiel des Jahres ist der Tabellenneunte beim Tabellenvorletzten 1. FC Köln zu Gast (15.30 Uhr).
Ein gutes Jahr nach dem Münzwurf von Rotterdam zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Liverpool spielt Wolfgang Weber erneut gegen den Liverpooler Roger Hunt – im Finale der Weltmeisterschaft 1966. Er spielt nicht nur Fußball, er spielt auch Schicksal.
Weber gelingt das 2:2 in letzter Minute, das Deutschland in die Verlängerung rettet. Und Weber köpft jenen Ball ins Toraus, der von der Latte des deutschen Gehäuses auf den Boden und dann zurück ins Spielfeld springt und fortan als „Wembley-Tor“ firmiert.
Hätte er den Ball im Spiel gehalten, wäre wohl keine Diskussion entbrannt über Tor oder Nicht-Tor. So aber kam neben Bundespräsident Heinrich Lübke auch ein aserbaidschanischer Linienrichter zu der Erkenntnis, der Ball sei drin gewesen. Und das hat mindestens so wehgetan wie der berühmte Münzwurf von Rotterdam.
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