Böse kann man diesem Kerl wohl einfach nicht sein. Wobei sich Manuel Henck, Zeugwart des 1. FC Heidenheim, bei Tim Kleindienst einen Ohrschnippser erlaubte und FCH-Kapitän Patrick Mainka dem Doppeltorschützen von Borussia Mönchengladbach einen kleinen Stups mitgab – und zwar während dieser nach dem 3:2-Siegs seines neuen Vereins gegen seinen ehemaligen Club den fragenden Journalisten Rede und Antwort stand. Das Interesse war enorm an dem Stürmer, dem beim FCH der Weg zum Nationalspieler bereitet worden war und der bei Mönchengladbach jetzt den letzten Schritt dazu gemacht hat.
Ein Bauchgefühl hat man schon: Hoffentlich passiert das nicht, was am Ende heute passiert, ist.
Frank Schmidt, Trainer des 1. FC Heidenheim, über den Auftritt von Tim Kleindienst
Kleindienst. Ausgerechnet. Zwei Tore gegen seine „alte Liebe“, wie er es selbst nach dem Spiel ausdrückte. Frank Schmidt wählte dafür folgende Worte: „Ein Bauchgefühl hat man schon: Hoffentlich passiert das nicht, was am Ende heute passiert, ist“, so der FCH-Trainer im Hinblick auf den Galaauftritt seines ehemaligen Schützlings, der auch bei den Fohlen eine Ära prägen könnte – ähnlich wie er es beim FCH getan hatte ähnlich wie er es beim FCH bis zur vergangenen Saison getan hatte, ehe er für geschätzte sieben Millionen Euro an den Niederrhein gewechselt war.
Es war allerdings nicht „nur“ ein Aufeinandertreffen zwischen dem 1. FC Heidenheim und dem Spieler, der den Verein am 28. Mai 2023 durch ein Tor in der neunten Minute der Nachspielzeit bei Jahn Regensburg in die Bundesliga geschossen hatte. Es war auch ein Duell zweier besten Freunde. Seit ihrer gemeinsamen Zeit bei Energie Cottbus in der Saison 2014/15 kennen sich Kevin Müller und Tim Kleindienst, der FCH-Torwart war auch Trauzeuge des neuen Gladbacher Stars (fünf Tore, sechs Vorlagen).
Bei der Begrüßung der Mannschaften klatschte Kleindienst, wie es üblich ist, mit allen ehemaligen Mitspielern ab. Müller bekam zudem einen freundschaftlichen Brustcheck. Nach der Partie, auch das gehört dazu, verabschiedeten sich Müller und Kleindienst von den jeweils gegnerischen Spielern per Handschlag. Sie beide nahmen sich am Schluss gegenseitig in den Arm. Am Ende eines Spiels, von dem sie wohl noch ihren Enkeln erzählen werden.
Ohne Frage, es sei für ihn ein besonderes Spiel gewesen, sagte Kevin Müller, der natürlich auch sichtlich enttäuscht war über die 2:3-Niederlage des FCH. Der Heidenheimer Keeper strich aber auch die Qualitäten seines Kumpels heraus. „Man kann ihn nicht hoch genug loben. Er spielt nicht umsonst für die Nationalmannschaft, weil er Woche für Woche es schafft, sein Potenzial einfach auf den Platz zu bringen“, so Müller über Kleindienst.
Seinen ersten Treffer erzielte der Gladbacher Stürmer per Hacke. „Das ist ganz schön frech“, so Müller, der es währender der Partie auf dem Platz immer wieder direkt mit Kleindienst zu tun bekommen hatte. Sei es bei Eckbällen der Gastgeber oder Torschüssen des Angreifers. „Da gibt’s auch schon mal den ein oder anderen Spruch oder auch mal einen Augenkontakt. Das ist ganz normal“, beschrieb Müller die besondere Konstellation.
Auf einen Torjubel hatte Kleindienst dabei bewusst verzichtet, wie er erklärte. „Aus Respekt. Wir haben so viel zusammen erlebt. Wenn man in der Gegend rumrennt und sich freut wie ein Großer, wäre nicht das, was die Fans oder der Verein verdient hätten“, so der 29-Jährige.
Sein zweites Tor ließ Kleindienst per verwandeltem Elfmeter folgen. Schnell war klar, dass er antreten wird, was die Dramatik auf die Spitze trieb: Kleindienst gegen Müller, Kumpel gegen Kumpel. „Ich habe da kurz geschluckt. Der Torhüter kennt Tim wahrscheinlich zu gut, Tim kennt den Torhüter auch sehr gut“, beschrieb Gladbachs Coach Gerardo Seoane den Moment vor dem Strafstoß. „Es war klar, dass er sich den Elfmeter nimmt“, sagte Kevin Müller. „Wir haben so viele Elfmeter gegeneinander geschossen. Ich wusste, in welche Ecke er schießt. Aber er hat es schon gut gemacht“, so der 33-Jährige über den scharf geschossenen Elfmeter. Müller hatte die Ecke geahnt, kam aber nicht an den Ball.
Ich habe ihn nicht angeguckt, das wäre nicht gut gewesen.
Tim Kleindienst verzichtete vor dem Elfmeter auf einen Augenkontakt mit Kevin Müller
Ist es denn nicht riskant gegen einen Freund bei einem Elfmeter anzutreten, schließlich kennt wohl kein Torhüter der Welt Tim Kleindienst nicht besser als Kevin Müller? „Ich glaube, du musst einfach überzeugt sein. Sobald du den Elfmeter gut schießt, ist es nahezu unmöglich für den Torhüter. Ob man sich da kennt oder nicht“, erklärte Kleindienst, der eines aber vor dem Elfmeter vermied: einen Augenkontakt mit seinem Trauzeugen. „Ich habe ihn nicht angeguckt, das wäre nicht gut gewesen“, so Kleindienst.
Ein drittes Tor gegen seinen ehemaligen Verein blieb dem Gladbacher Stürmer verwehrt – auch weil Kumpel Müller zwei seiner Schüsse sehenswert parierte. „Das war unfassbar gut. Weltklasse, wie der die da rausholt“, so Kleindienst über den FCH-Torwart.
Dabei hatte Kleindienst im Vorfeld gegenüber Müller im Spaß drei Tore angekündigt. „Wenn er das dritte gemacht hätte, hätte ich auch eine Rote Karte in Kauf genommen“, scherzte der FCH-Torhüter und schaute in der Mixed-Zone Richtung Kleindienst, der in diesem Moment vorbeilief. „Ich bin froh, dass er nicht drei Tore gemacht hat. Das hätte ich mir bis in die Unendlichkeit anhören dürfen“, so Müller.
Und während der Heidenheimer Keeper das Positive mitnimmt, dass der FCH gegen den „FC Kleindienst“ nie aufgegeben hat, möchte Kleindienst weiter Vollgas geben, um weiterhin „so ein bisschen im Rampenlicht zu bleiben“, wie er es ausdrückte. „Dann klappt’s vielleicht noch mal mit einer Nominierung für die Nationalmannschaft.“ Beim FCH hätte man nichts dagegen.