Sohn Sebastian (14) staunte nicht schlecht, als Papa Frank ihm ein von Tim Kleindienst getragenes Trikot überreichte, das der Doppeltorschütze im Heimspiel gegen den FC Bayern München auch unterschrieben hatte. Und Tochter Daniela (10), die mit Fußball eigentlich nicht so viel zu tun hat, sah im Fernsehen, wie ihr Vater, Frank Dürr, als 4. Offizieller den Schiedsrichter auf dem Rasen die beiden Linienrichter unterstützte – in Jeans und Straßenschuhen, aber mit einer Trainingsjacke mit DFB-Emblem.
Zeit für Äußerlichkeiten war auch nicht, als es in der Halbzeitpause des Bundesligaspiels zwischen dem FCH und dem FC Bayern turbulent wurde. Da der eingeteilte Schiedsrichter Robert Schröder Kreislaufprobleme hatte, sprang für ihn in der zweiten Halbzeit Patrick Alt ein. Im Profifußball gibt es den 4. Offiziellen, der den Schiedsrichter und dessen Assistenten unterstützt – und im Notfall für einen der drei einspringen kann, als eine Art Ersatz-Schiri. Für Alt war es der erste Einsatz in der Bundesliga, sein Debüt hätte er sich anders vorgestellt, bekannte er nach der Partie.
Damit wurde aber eine Lücke gerissen: Wer sollte den Posten des 4. Offiziellen einnehmen? Jeder Verein hat einen Schiedsrichterbetreuer, beim FCH ist es Michele Lampariello. Dieser wurde vom Schiedsrichter-Team gebeten, möglichst schnellen Ersatz zu finden. Lampariello wählte die Nummer von Frank Dürr. Dieser hatte eben im Business-Club gerade seinen Espresso getrunken und war im Begriff seinen Platz einzunehmen.
Frank Dürr ist Obmann der Schiedsrichtergruppe Schwäbisch Gmünd
Eigentlich sei er selten im Stadion. Gegen die Münchner, Dürr ist FC-Bayern-Anhänger, habe er aber über den Verband Karten bekommen, erzählt der 46-Jährige, der als Bezirksschiedsrichter-Obmann (zugleich Obmann der Schiedsrichtergruppe Gmünd) Spiele bis zur Verbandsliga leitet. Vor Anpfiff hatte er unter anderem Lampariello im Stadion wiedergesehen – damit konnte der FCH-Schiedsrichterbetreuer sofort reagieren.
Wo sitzt du? Du hast einen Einsatz!
Michele Lampariello, Schiedsrichterbetreuer des 1. FC Heidenheim, zu Stadionbesucher Frank Dürr
„Wo sitzt du? Du hast einen Einsatz!“ Die Ansage von Lampariello kam direkt. „Ich dachte nur: 'Will er mich veräppeln?‘“, räumt Dürr, der in Herlikofen bei Gmünd lebt, ein. Lampariello wedelte mit seinen Händen, um zu verdeutlichen: Es ist ernst. Dürr sprang also von seinem Sitz auf und versuchte zum Schiedsrichterraum zu gelangen. Nicht ganz einfach, da die eingeteilten Security-Mitarbeiter noch nichts vom Wechsel bei den Schiedsrichtern wussten – und Dürr die entsprechende Akkreditierung fehlte. Währenddessen musste das Spiel mit Verspätung wieder angepfiffen werden. „Kurz, bevor wir rausgegangen sind, haben wir erfahren, dass noch jemand da ist, der uns unterstützen kann“, sagte Patrick Alt nach der Partie.
Im Schiedsrichterraum traf Frank Dürr auf Robert Schröder, der ärztlich versorgt wurde. Von diesem gab es für Dürr einige Hinweise und die Trainingsjacke mit dem Emblem des Deutschen Fußballbundes. Beim Umziehen brandete im Stadion Jubel auf. Lampariello wusste: Wenn so gejubelt wird, hat der FCH ein Tor geschossen. Ohne Headset wie sonst üblich (um die Verbindung zum Haupt-Schiedsrichter und dessen Assistenten zu halten), dafür aber eben in Jeans und Straßenschuhen, ging es für Frank Dürr durch den Spielertunnel, als das 2:2 fiel. Dann konnte er endlich seinen Platz zwischen den beiden Trainerbänken einnehmen.
Ich dachte nur: Jetzt frisst er uns mit seinem Blick auf.
Frank Dürr, scherzend über Bayern-Trainer Thomas Tuchel
„Ich war schon ein wenig aufgeregt, habe mich aber aufs Spiel konzentriert“, sagt Dürr. Er notierte unter anderem die Ein- und Auswechslungen – und die gelbe Karte für Bayerns Trainer Thomas Tuchel. Dieser saß fast das ganze Spiel über auf der Trainerbank, sprang aber nach einer seiner Meinung nach falschen Einwurf-Entscheidung wild gestikulierend auf. „Ich dachte nur: Jetzt frisst er uns mit seinem Blick auf“, scherzt Frank Dürr.
Und Frank Schmidt? Der FCH-Trainer habe Dürr gar nicht wahrgenommen – dabei kennen sich die beiden bereits seit über 20 Jahren. „Wir haben damals in der Oberliga noch nach Spielen zusammengesessen“, erinnert sich Dürr, der da bereits Schiedsrichter bei Partien des HSB gewesen war. Und beim diesjährigen Neujahrsempfang der Schiedsrichtergruppe Gmünd war der Heidenheimer Coach Ehrengast – wie schon 2011, damals zu Drittligazeiten. Nach dem Spiel habe der FCH-Coach aber gesagt: „Gratuliere dir zu deinem Einsatz in der Bundesliga.“
Schiedsrichter Robert Schröder ging es schnell wieder besser
Trotz aller Aufregung ist es Dürr wichtig, dass es dem ausgefallenen Schiedsrichter Robert Schröder relativ schnell wieder besser ging. „Er durfte abends wieder heimfliegen“, weiß Dürr, der nach dem Spiel auch mit den anderen Schiedsrichterkollegen ins Gespräch kam. So betreut Robert Schröder das „DFBnet“, mit dem auch im Amateurbereich Schiedsrichter und Vereine arbeiten, somit auch Dürr. Und Norbert Grudzinski, einer der beiden Linienrichter, ist Schiedsrichter-Einteiler in Hamburg. Als solcher betreut er auch Markus Sutera, einen ehemaligen Schiedsrichterkollegen von Frank Dürr von der Gruppe Gmünd. „Die Welt ist klein“, stellt der Sozialversicherungs-Fachangestellte (bei einer Krankenkasse) fest. Manchmal ist das gut so.
Weitere Schiedsrichter in der Voith-Arena
Die Vorgabe des DFB in einer Ausnahmesituation lautet, dass der 4. Offizielle schon möglichst höherklassig Erfahrung als Unparteiischer gesammelt hat. Deshalb sei die Wahl auf Frank Dürr gefallen, heißt es von Seiten des FCH. Der Wohnort des 4. Offiziellen ist dabei unerheblich.
Im Fußballbezirk Ostwürttemberg gibt es drei Schiedsrichtergruppen (Aalen, Gmünd und Heidenheim). Frank Dürr ist Obmann der Schiedsrichtergruppe Gmünd und zugleich auch Bezirks-Schiedsrichter-Obmann. Dies war er bereits von 2012 bis 2015 und ist es seit 2018 wieder.
Beim Spiel des FCH gegen den FC Bayern waren weitere Schiedsrichter aus dem Amateurbereich in der Voith-Arena. Diese erhalten freien Eintritt, als eine Art Bonus für ihren Einsatz. Die Anzahl im Block F war aber auf 75 beschränkt, alle Karten gingen weg. Ein Großteil der Unparteiischen kam aus der Region, manche aus Friedrichshafen, Waiblingen, Biberach. Einer kam sogar aus Rosenheim.
Mit Bernd Birkenmaier hat auch der Obmann der Schiedsrichtergruppe Heidenheim das Spiel im Stadion verfolgt. Dieser ist unter anderem dafür zuständig, die Eintrittskarten an die Amateur-Schiedsrichter auszuteilen. Einen Anruf bekam er nicht. „Klar, für mich eine verpasste Chance“, sagt Birkenmaier. „Ich bin aber froh, dass alles glattgelaufen ist. Vielleicht ergibt sich ja noch eine Chance“, schiebt er scherzend nach.