Ein feiner Techniker war Christian Essig als Fußballer, ohne Frage. Zur Saison 2008/09 kam er zum 1. FC Heidenheim – zeitgleich mit Marc Schnatterer. Zu Beginn konkurrierten die beiden um die gleiche Position, waren aber auch gute Freunde. Seit inzwischen sieben Jahren ist Essig Sport- und Techniklehrer am Schulverbund im Heckental.
Herr Essig, Sie hatten bestimmt nicht immer Bock auf Schule?
Nee, ich hatte eine heiße Phase in der Schule, so in der siebten, achten Klasse. Da gab‘s für mich nur Fußball und den Bolzplatz. Für mich war es immer klar, dass ich unbedingt Fußballprofi werden will. Ich habe die Schule vernachlässigt und mich schwergetan, darin einen Sinn zu sehen. Das sehe ich auch bei meinen Jugendspielern, da versucht man als Lehrer entgegenzuwirken.
Hat man als ehemaliger Fußballprofi einen Vorteil als Lehrer gegenüber den Schülern?
Die Frage wird mir jedes Schuljahr mehrmals gestellt. Warum sind Sie kein Fußballprofi mehr, wieso sind Sie nun Lehrer? Ist doch total blöd?
Christian Essig
Schon, gerade im Sportunterricht, wenn man das ein oder andere Spiel mitspielen kann, gerade beim Fußball. Da hat man es schon leichter, beziehungsweise bekommt man von den Schülern ein bisschen schneller Anerkennung oder Respekt. Die sehen dann: Der kann ja ganz gut kicken.
Mussten Sie Ihren Schülern schon öfter erklären, warum Sie nicht mehr Fußball spielen, sondern jetzt im Klassenraum stehen?
Die Frage wird mir jedes Schuljahr mehrmals gestellt. Warum sind Sie kein Fußballprofi mehr, wieso sind Sie nun Lehrer? Ist doch total blöd? Und: Wie viel haben Sie verdient, haben Sie da mehr verdient als jetzt als Lehrer? Meistens antworte ich das gleiche, dass ich jetzt ja schon ein bisschen älter bin und man irgendwann mal etwas Vernünftiges arbeiten muss. (lacht)

Was werden sonst so für Fragen gestellt?
Hin und wieder werde ich gefragt, wer der beste Gegenspieler war.
Wer war es?
Toni Kroos. Damals bei Bayern II. Er war zwar noch jung, aber es war Wahnsinn, wie der als 17-Jähriger gespielt hat. Man wusste ja, dass er die neue Nummer zehn des FC Bayern wird. Toni war schon da abgezockt, hat keinen Fehler gemacht und gespielt wie ein 30-Jähriger. Das habe ich so nie wieder gesehen.
Machen Ihre Schüler dann besonders große Augen?
Ja, sie stellen eine Verbindung her: Toni Kroos kennt Cristiano Ronaldo, ich kenne Sie, dann bin ich ja gar nicht so weit weg von Ronaldo. So hat’s zuletzt einer gesagt. Und sie fangen an zu googeln. Dann heißt es: Ich habe Sie gegoogelt, Sie haben ja auch Autogrammkarten. Manchmal wollen welche ein Autogramm. Aber das mache ich nicht so gern und versuche sie auf ein anderes Thema zu bringen.
Sie waren sechs Jahre im Trainerteam der B-Junioren des 1. FC Heidenheim. Gab’s Überschneidungen zwischen Fußballgelände und Schule?

Ja, wir haben auch den ein oder anderen Jugendspieler hier, den ich selbst trainiert habe. Das ist schon eine komische Situation. Auf dem Trainingsplatz hat man ein ganz anderes Verhältnis zum Spieler als zum Schüler. Es ist viel enger, man redet anders miteinander, auch wie man sich begrüßt. Und wenn Spieler hier in der Schule auf einmal wieder Herr Essig sagen müssen, tun sie sich auch schwer. Da rutscht ab und zu auch ein Chris raus.
Trainer und Lehrer: Gibt es da Parallelen?
Ja, sehr viele. In erster Linie geht’s um die Persönlichkeit. Man muss in beiden Berufen, aus meiner Sicht, fachlich nicht überragend sein. Um eine Klasse gut zu führen oder im Fußball Erfolg zu haben, muss man auf seine Art und Weise eine Gruppe führen können.
Warum wollten Sie Lehrer werden?
Der Wunsch kam relativ spät. Mit Anfang, Mitte 20 hatte ich das überhaupt noch nicht auf dem Schirm. Während der Selbstständigkeit (Lavazza-Kaffeebar), ist mir schon bewusst geworden: Ich will irgendwie im Sport bleiben, als Sportlehrer. Durch den Mannschaftssport bin ich es gewohnt, immer in der Gruppe zu sein, ich wollte mit jungen Leuten zusammenarbeiten. Auf diese Weise konnte ich von dem, was ich im Sport erlebt habe, den Kindern auch etwas weitergeben.
Als Spieler waren Sie einer von vielen, als Lehrer sind Sie allein…

Das stimmt. Als Lehrer, das ist ja vielen nicht bewusst, steht man jeden Tag vorne. Man kann sich nicht einfach mal in ein Büro setzen und hat seine Ruhe, sondern man muss immer vorne stehen und muss am besten auch immer gut gelaunt sein. Man ist ja auch mal schlecht drauf oder hat privat irgendwas. Das muss man schon immer versuchen, zur Seite zu schieben. Man wird immer angeschaut, man ist immer im Fokus. Mittlerweile ist es für mich aber echt kein Problem. Manchmal, wenn ich heimkomme, bin ich aber auch mal platt.
Mit 27 Jahren haben Sie Ihre Karriere beendet. Warum sind Sie nicht noch länger Profi geblieben?
Meine letzte Profistation war in Babelsberg. Ich hatte damals Angebote und hätte weiterspielen können. Es war von mir ein aktiver Schritt, die Karriere zu beenden. Es war eine Entscheidung für die Familie. Daher habe ich an die weitere Zukunft gedacht und an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd mit einem Studium angefangen. Nebenher habe ich Fußball beim FV Illertissen in der Regionalliga gespielt.
In 81 Spielen für den 1. FC Heidenheim haben Sie elf Tore erzielt und zehn direkt vorbereitet. Keine schlechte Statistik…
Ja, vor meiner Verletzung war ich Stammspieler. Es lief gut. Klar, Schnatti ist in der Zeit, in der ich verletzt war, richtig durch die Decke gegangen, er war ja auch mein Mitkonkurrent, sozusagen. Dann war eine Position im Mittelfeld blockiert, weil Schnatti ein absoluter Stammspieler war.
Am Anfang wurde Marc Schnatterer für Sie noch eingewechselt…

Im Juli 2011 bezwang der FCH als Drittligist in der ersten Runde des DFB-Pokals den Bundesligisten SV Werder Bremen im eigenen Stadion nach einem Rückstand noch mit 2:1. Oben sieht man Christian Essig im Zweikampf mit Aaron Hunt. Foto: Eibner
Wir haben ja beide beim Karlsruher SC gespielt und sind im Sommer 2008 gleichzeitig zum FCH gekommen. Am Anfang war die Situation schon so, dass ich gespielt habe. Er hat sich aber sehr gut entwickelt und hat seine Chance genutzt. So läuft’s halt dann im Fußball.
Sie klingen sehr abgeklärt, haben Sie es damals auch so locker gesehen oder entwickelt sich das mit den Jahren?
Natürlich tut es weh, wenn man nicht mehr so oft spielt oder merkt: Die Laufbahn entwickelt sich nicht so, wie man es sich erhofft. Das ist natürlich schon hart und da muss man schon schlucken. Aber letzten Endes hatten wir Spieler untereinander ein sehr gutes Verhältnis. Es war nicht so, dass man verbittert war oder es den anderen nicht gegönnt hat. Aber klar, im Nachhinein ist es einen Tick einfacher, darüber zu sprechen.
Was hätten Sie erreichen können?
Klar, der Gedanke ist schon manchmal da: Hättest du doch noch mal ein bisschen weitergekickt. Auf der anderen Seite: Hätte ich weitergespielt, hätte ich mein Lehramt vielleicht nicht gemacht. Ich bin froh, wie es jetzt ist.
Christian Essig
Klar, der Gedanke ist schon manchmal da: Hättest du doch noch mal ein bisschen weitergekickt. Auf der anderen Seite: Hätte ich weitergespielt, hätte ich mein Lehramt vielleicht nicht gemacht. Ich bin froh, wie es jetzt ist. Im Endeffekt bringt es auch nichts zu sagen, hätte ich das gemacht oder hätte ich jenes gemacht. Die Entscheidungen müssen ja in dem Moment getroffen werden. Aber ich denke schon, dass ich etwas höher hätte spielen können, 2. Liga. Das hätte ich schon gerne gezeigt. Letzten Endes will ich da auch keine Ausreden suchen oder sagen: Wäre nicht die oder jene Verletzung gekommen.
Beim FCH haben Sie sich zwei Bänderrisse im Knie hintereinander zugezogen…
Klar, das spielt immer mit rein. Danach bin ich etwas aus dem Tritt gekommen. Fußball hat auch mit ein bisschen Glück, manchmal mit dem Momentum zu tun. Ich habe da gespielt, wo ich gespielt habe. Und für mehr hat’s halt insgesamt dann nicht gereicht.

Sie kamen im Sommer 2008 vom SV Sandhausen zum FCH, der gerade aus der Oberliga in die Regionalliga Süd aufgestiegen war. Mit den Heidenheimern gelang Ihnen der Durchmarsch in die 3. Liga. Durch einen 2:0-Sieg beim Karlsruher SC II im Wildparkstadion am vorletzten Spieltag war dem FCH die Meisterschaft nicht mehr zu nehmen…
Ein Auswärtssieg bei meinem Jugendverein im Wildparkstadion, ich traf zum 2:0-Endstand (1:0 durch Bastian Heidenfelder). Meine Familie war im Stadion, Mama, Papa, meine drei Schwestern. Von den Emotionen her war es mit eines der coolsten Spiele.
Im Sommer 2012, nach vier Jahren, war für Sie Schluss beim FCH. Wie läuft so etwas ab, wenn einem gesagt wird, dass der Verein nicht mehr mit einem plant?
Bei mir war’s ein bisschen kurios. Wir hatten damals mit Alper Bagceci, Schnatti, Robert Strauß und mir vier Außenspieler. Und ich war der Einzige, bei dem der Vertrag am Saisonende auslief. Die anderen hatten bereits verlängert. Ab der nächsten Saison war es so, dass die Vereine U-23-Spieler im Kader haben mussten und der FCH hatte keine oder wenige. Mir wurde gesagt, dass der Verein mich bei einem Aufstieg in die 2. Liga gerne behalten würde. In der 3. Liga musste man wegen der U-23-Regelung aber schauen. Dann ist es ein Geschäft, man guckt als Verein schon, wer gerade noch einen Vertrag hat und will nicht zu viele Spieler auf dem Gehaltszettel haben. Wenn man so eine Rückmeldung bekommt, dann schaut man sich als Spieler auch schon um.

Der FCH wurde nur Tabellenvierter (ein Punkt hinter Regensburg)…
Natürlich war’s bitter. Manchmal gehört im Fußball auch ein bisschen Glück dazu.
Es folgte ein Saisonabschluss auf Mallorca. Muss man sich als Profi, anders als Kreisligafußballer, zurückhalten? Waren Sie der oberste Partyvogel?
Ich glaube nicht, dass es bei uns harmloser zugegangen ist als bei einem Kreisligisten. Wir konnten schon gut feiern. Ich glaube, auf Mallorca mussten wir uns vor keinem verstecken. Wir waren schon trinkfest und hatten unseren Spaß. Wir hatten auf Mallorca viele dabei, die Gas gegeben haben. Als obersten Partyvogel würde ich mich nicht bezeichnen. Da fällt mir ein anderer ein.
Wer ist es?
Ich würde schon sagen, der Flo (Krebs).
Aber er war doch der DJ?
Er war multitaskingfähig. (lacht)
Jetzt sind Sie seit sieben Jahren Lehrer und laufen mit einer typischen Lehrertasche umher…

Meine sexy Lehrertasche. Meine Freundin findet die Tasche irgendwie toll. Ich glaub’s ja immer nicht so ganz. (lacht)
Selbst gekauft?
Ja. Es macht tatsächlich Sinn. Man hat ja immer irgendwelche Ordner drin, ein Klassenbuch. Das passt einfach von der Anordnung ganz gut rein. Ich habe mich aber bewusst gegen so ein Braun entschieden, um neue Akzente zu setzen.
Hätten Sie damals als Fußballprofi gedacht, dass Sie eines Tages dieses typische Lehrerklischee erfüllen werden?
Nee, ich hätte wirklich nie in meinem Leben gedacht, dass ich Lehrer werde. Es hat sich einfach so entwickelt. Ich bin auch froh darüber und bin echt sehr zufrieden mit meinem Job.
Haben Sie eigentlich noch Ihre Tattoos?

Eins habe ich noch, einen Schutzengel an der Schulter. Zwei habe ich wegmachen lassen.
Weshalb?
Die zwei Schriftzüge an den Unterarmen haben mir nicht mehr gepasst. Ich wollte das als Trainer und Lehrer nicht mehr. Wobei das heutzutage eigentlich kein Thema mehr ist. Bei meinem Beruf wollte ich sie aber nicht mehr haben.