Der Klub, der heute den Namen RB Leipzig trägt, existiert erst seit 2009, verfügt dementsprechend über wenig Tradition. Deshalb sei es an dieser Stelle erlaubt, etwas allgemein auf die außergewöhnliche Fußball-Historie in einer Stadt zu blicken, in der vor gut 124 Jahren auch der DFB gegründet wurde.
In Leipzig, wo Johann Sebastian Bach einst den Thomanerchor leitete, wurde 1903 auch der erste deutsche Fußballmeister gekürt. Die Siegertrophäe hieß damals noch „Viktoria“, der Rasen war noch eine Wiese, und wer hierzulande lieber einem Ball hinterherlief, anstatt Leibesübungen nach den Idealen von Turnvater Jahn zu betreiben, riskierte es, sich dem Gespött der noblen Gesellschaftsschichten im wilhelminischen Kaiserreich auszuliefern. Als „englischer Aftersport“ oder als „Fußlümmelei“ wurde das Kicken um die Jahrhundertwende diskreditiert.
Und so hatten sie es nicht leicht, die Lederball-Pioniere aus deutschen Gauen. Missverständnisse, Skandale und eigenartige Kuriositäten standen entsprechend Pate, bevor der VfB Leipzig im ersten Finale um den nationalen Titel den Deutschen Fußballclub Prag mit 7:2 besiegte. Ein ominöses Telegramm war diesem Endspiel vorausgegangen. Im Halbfinale sollte Mitfavorit Karlsruher FV gegen die Prager antreten. Doch eine Depesche mit dem Inhalt „Meisterschaftsspiel verlegt, DFB“ hielt die Badener davon ab, zum Halbfinale anzureisen.
Ein Scherz mit weitreichenden Folgen
Wer sich den Scherz mit dem Telegramm erlaubte, ist bis heute ungeklärt. Der DFB jedenfalls disqualifizierte die gutgläubigen Karlsruher. Der von jüdischen Studenten gegründete DFC Prag erreichte somit ohne Endrundenspiel das Finale, wo die „Deutsch-Böhmischen“ im Leipziger Sturmwirbel allerdings so sang- und klanglos untergingen, dass Prags Mittelstürmer Meyer statt Fußball nur noch die beleidigte Leberwurst spielen wollte. Seine unterlegenen Mitstreiter bewegten den geknickten Angreifer, der den DFC in der 22. Minute noch mit 1:0 in Führung geschossen hatte, schließlich zum Weiterspielen bis zum erlösenden Schlusspfiff.
Dieser wiederum ertönte aus der Trillerpfeife eines Schiedsrichters namens Franz Behr. Der spätere Brasilien-Auswanderer, erfolgreich auch als Leichtathlet und Tauzieher, war in der DM-Endrunde für Altona 93 noch selbst als Mittelfeldmotor auf dem Spielfeld gestanden. Nachdem seine Mannschaft ausgeschieden war, holte Behr das Endspiel nach Altona, wo auf einem ehemaligen Exerzierplatz der Preußischen Armee im heutigen Hamburger Stadtteil Bahrenfeld Fußball-Geschichte geschrieben werden sollte.
Um das zu ermöglichen, baute Franz Behr die Tore fürs Finale selbst auf, sorgte für die Absperrung des Spielfeldes, die Markierungen und den Spielball. Nachdem er dann auch noch die Eintrittsgelder der Zuschauer kassiert hatte (eine Mark pro Person, die offizielle Zuschauerzahl schwankt je nach Quelle zwischen 750 und 2000), wollte er am 31. Mai 1903 um 4 Uhr nachmittags endlich den Ball rollen lassen.
Die Luft aus dem Ball war raus
Doch kurz vor Spielbeginn stellte Behr fest, dass dem einzig vorhandenen Spielgerät die Luft ausgegangen war. In aller Eile wurde ein Helfer nach Hamburg geschickt, um einen Ersatz aufzutreiben. Kurz nach halb fünf erreichte ein vielbewunderter englischer Lederball die Exerzierweide. Und endlich konnte angepfiffen werden. Unter den Zuschauern befanden sich übrigens auch 131 Vereinsbosse, die dem zeitgleich stattfindenden DFB-Bundestag beiwohnten. Franz Behr war in jenen Tagen nicht nur Spieler, Schiedsrichter, Platzwart und Kassierer, sondern auch noch Funktionär. Am Vormittag des Finales war der Tausendsassa zum 2. Vorsitzenden des DFB gewählt worden.
Der VfB Leipzig aber schrieb in diesen Pionierzeiten weiter Fußball-Geschichte. Ehe 1914 der 1. Weltkrieg begann, hatte das Team sechsmal das Finale erreicht und dreimal die „Viktoria“ gewonnen. 2004 ging der VfB insolvent und verschmolz in den 1. FC Lokomotive Leipzig (heute Regionalliga Nordost).
Leipziger Fußball-Geschichte schreibt, spätestens seit seinem Bundesliga-Aufstieg 2016, inzwischen der von der Red Bull GmbH gegründete RB Leipzig – freilich unter ganz anderen sportlichen und finanziellen Voraussetzungen als in jenen bescheidenen Anfängen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Serie zu Heimspielen des 1. FC Heidenheim
Unter dem Schlagwort „Kuriositätenkiste“ stellt die HZ zu den jeweiligen Bundesliga-Heimspielen des FCH Anekdoten vor, die mit dem jeweiligen Gegner (oder dessen Vorgängervereinen) zu tun haben. Weiter geht es mit einer Geschichte über die TSG Hoffenheim, die am 27. Oktober in Heidenheim zu Gast ist.