Interview

"Wir haben uns einen Namen gemacht": Warum FCH-Vostandschef Holger Sanwald einen heißen Transfersommer erwartet

Nicht nur den Klassenverbleib erreichten Vorstandschef Holger Sanwald und der FCH im ersten Jahr in der Bundesliga - die Premierensaison könnte sogar in der europäischen Conference League enden. Wie Sanwald die erfolgreiche Spielzeit bewertet, warum die Spieler des FCH auf dem Transfermarkt gefragt sind und wieso die Heidenheimer trotz des Erfolgs ihren Weg nicht verlassen werden:

Für das Feiern des achten Tabellenplatzes des 1. FC Heidenheim in seiner ersten Saison in der Bundesliga blieb Vorstandschef Holger Sanwald nicht viel Zeit. Mit den starken Leistungen haben sich die Spieler des Aufsteigers nicht nur die Chance auf die Conference League erspielt, sondern auch das Interesse zahlungskräftiger Vereine geweckt. Möglichen Angeboten für die Leistungsträger des FCH blickt der 57-Jährige optimistisch gegenüber. Mit welcher Strategie er in den langen Transfersommer geht, wie er die Chancen auf das Erreichen der Conference League einschätzt und welche Ziele er sich für die zweite Bundesliga-Saison steckt, verrät Holger Sanwald im Gespräch mit unerer Zeitung.

Hallo Herr Sanwald, was haben Sie an diesem Samstagabend vor?

Da schaue ich das DFB-Pokalfinale.

Haben Sie ein Pokalfinale schon einmal so intensiv verfolgt?

Das DFB-Pokalfinale immer, das ist für mich Pflichtprogramm, ich war auch schon als Zuschauer vor Ort in Berlin. Aber natürlich schaue ich heute Abend etwas anders darauf.

Weil es auch für Ihren Verein um etwas geht. Wer gewinnt, Bayer Leverkusen oder der 1. FC Kaiserslautern?

Im Fußball kann immer alles passieren, aber Leverkusen spielt eine derart fantastische Saison. Sie sind ohne Niederlage deutscher Meister geworden. Zwar hatten sie das verlorene Finale um die Europa League erst am Mittwoch, aber sie sind in diesem Duell klarer Favorit. Es ist gut möglich, dass wir deshalb die Play-off-Spiele der Conference League erreichen.

Sie sprechen es an. Am vergangenen Samstag hat der FCH mit dem Heimsieg gegen Köln den achten Platz erreicht – an Ihrem Geburtstag. Hätte es für Sie einen schöneren Geburtstag geben können?  

Hätte es nicht. Als der Spielplan herauskam, war klar, am 18. Mai geht es um 15.30 Uhr gegen Köln. Es hatte das Potenzial, in beide Richtungen zu gehen. Es hätte auch der bitterste Geburtstag werden können, wenn wir gegen Köln abgestiegen wären. Vor elf Jahren gab es schonmal eine nervenaufreibende Situation an diesem Tag: In der 3. Liga waren wir damals vor dem letzten Spieltag auf dem dritten Platz und wir spielten gegen die schon abgestiegenen Kickers Offenbach. Wir hätten die Relegation für die 2. Liga mit einem Sieg erreichen können, aber wir sind von Minute zu Minute mehr verkrampft und haben 0:0 gespielt – an meinem Geburtstag. Dagegen gab es jetzt den höchsten Bundesligasieg für uns und wir haben die Chance auf die Conference League. Es war ein traumhafter Tag, den man sich so nur wünschen kann.

Frank Schmidt meinte zu Saisonbeginn, dass der Klassenverbleib in der Bundesliga höher zu bewerten sei als der Aufstieg, gehen Sie da mit?

Frank und ich haben bei nahezu allen Themen die gleiche Meinung, aber in diesem Punkt nicht. Für mich ist es gleich zu bewerten. Aber egal, ob höher oder gleich, für uns als Verein ist es eine unglaubliche Leistung.

Gefragt am Mikrofon: Auch die Aufmerksamkeit der Medien für den FCH und Holger Sanwald ist in der Bundesliga gewachsen. Foto: Eibner/Michael Weber

Welche ganz persönlichen Höhepunkte gab es für Sie in der Premierensaison?

Der absolute Schlüsselmoment war für mich die Partie am dritten Spieltag in Dortmund am Freitagabend vor 80.000 Zuschauern. Davor hatten wir die ersten zwei Spiele verloren und dann steht es schnell 2:0 für Dortmund. Was dann in der zweiten Halbzeit passiert ist und wie wir vor 5.000 mitgereisten FCH Fans zurückgekommen sind, war phänomenal. Als wir noch das 2:2 geschafft hatten, hat es Klick gemacht und wir sind mit einer Rieseneuphorie aus dem Spiel gegangen. Danach kam direkt der erste Bundesligasieg gegen Werder Bremen, damit waren wir in der Saison drin und haben ein Highlight nach dem anderen produziert. Besonders in Erinnerung bleiben natürlich das 2:0 gegen den Vizemeister VfB Stuttgart und der Sieg gegen den FC Bayern.

Neben den sportlichen haben sich auch die gesamten Rahmenbedingungen verändert. Wie haben Sie das erste Jahr Bundesliga erlebt?

Es ist ein großer Unterschied in allen Bereichen. Auswärts waren beispielsweise durchschnittlich 2.500 FCH-Fans dabei. Die Mitgliederzahlen sind explodiert, die Sponsorenanfragen sind enorm gestiegen, jedes Heimspiel war ausverkauft und es gab eine riesige mediale Aufmerksamkeit. Aber darauf haben wir uns ja gefreut und die Arbeit hat sich gelohnt, damit wir das erste Bundesligajahr auch so erleben konnten. Gemeinsam mit unseren Fans haben wir das Bild in der öffentlichen Wahrnehmung geschaffen, dass der 1. FC Heidenheim ein belebendes Element in der Bundesliga ist. Und darauf sind wir sehr stolz.

Inwieweit würden sich Ihre Planungen auf die neue Saison bei einer Europapokal-Teilnahme ändern?

Natürlich müssen wir erst das DFB-Pokalfinale abwarten, im Fußball kann bekanntlich alles passieren. Wenn es so kommt, würde das aber an unserer seit Jahren bewährten Herangehensweise nichts verändern.

Ob der FCH in die Gruppenphase der Conference League einzieht, würde sich erst im Play-off-Rückspiel entscheiden, das wenige Tage vor dem Ende der Transferphase stattfindet. Könnten Sie da überhaupt noch mit Spielerverpflichtungen reagieren?

Wir könnten uns theoretisch Möglichkeiten aufbauen, aber es ist für uns keine Option. Wir werden unseren Weg weitergehen und unsere bisherigen Transfers sprechen da eine deutliche Sprache. Uns wurde die Frage schon so oft gestellt, ob wir mit dem Aufstieg etwas ändern werden. Das war bei uns schon in der Regionalliga so, in der 3. Liga war es extrem. Wir wurden oft gefragt: Was wollt ihr überhaupt hier mit eurem Konzept? Dann kam die Fragestellung in der 2. Liga wieder und ganz besonders nach dem Bundesliga-Aufstieg. Die Frage wird mit dem Einzug in die Conference League vielleicht wieder auftauchen. Aber völlig unabhängig davon wollen wir uns mit unserem Weg in der Bundesliga etablieren, wir bleiben uns auf jeden Fall treu und wollen nächste Saison das große Ziel wieder erreichen: zwei bis drei Mannschaften hinter uns zu lassen.

Als stolzer Gastgeber: Im Heimspiel gegen Bayer Leverkusen zeigte Holger Sanwald Ministerpräsident Winfried Kretschmann die Früchte der langjährigen Arbeit auf dem Schlossberg. Foto: Dennis Straub

Ab welchem Zeitpunkt würde die Teilnahme in der Conference League finanziell attraktiv werden?

Damit es sich richtig lohnt, müssten wir es in die Gruppenphase schaffen. Für das Erreichen der Play-offs gibt es 750.000 Euro, in der Gruppenphase wären es dann schon etwa 3,5 Millionen Euro, für jeden Sieg kommen noch einmal circa 500.000 Euro dazu. In dem Wettbewerb kann man schon richtig gutes Geld verdienen.

Gab es bei den Spielern in den Verträgen eine Klausel für das Erreichen des Europapokals?

Nein, aber wir haben uns auf eine Prämie verständigt. Das haben wir partnerschaftlich nach dem Unentschieden in Freiburg besprochen, als sich die Konstellation ergeben hat.

Wenn die Qualifikation für die Gruppenphase klappen sollte, würden Sie die Heimspiele in Heidenheim bestreiten oder in ein größeres Stadion umziehen?

Wir würden in der Voith-Arena spielen, das ist auch ein klares Bekenntnis zu unserem Standort und ein Zeichen an unsere Fans.

Nicht nur sportlich würde da eine große Herausforderung warten, auch auf dem Transfermarkt kommen spannende Wochen auf Sie zu.

Ja, das ist auch meine Einschätzung. Wir hatten noch keine Transferphase in der Bundesliga, nachdem wir gemessen an unserem Budget sportlich dermaßen überperformt haben. Am Finanziellen gemessen, waren wir 17., haben aber den achten Platz in der Tabelle erreicht. Unser Etat lag bei 65 Millionen Euro. Zum Vergleich: Bei der Mitgliederversammlung von Borussia Mönchengladbach wurde zuletzt ein Umsatz von 200 Millionen Euro verkündet. Damit haben sie dreimal so viel zur Verfügung wie wir. Bei anderen Konkurrenten sind die Zahlen ähnlich oder es ist sogar noch mehr.

Das macht Ihre Spieler attraktiv für Teams, die mehr Geld zur Verfügung haben. Da werden Begehrlichkeiten und Angebote folgen.  

Das wird auf uns zukommen. Wir haben uns einen Namen gemacht und uns in den Fokus gespielt. Dadurch haben unsere Spieler das Interesse auf dem Markt geweckt. Aber auch da sind wir optimistisch. Bis auf Kevin Sessa, der in den letzten Wochen den Durchbruch in der Bundesliga geschafft hat, haben alle Leistungsträger gültige Verträge. Entweder die Spieler bleiben da oder wir haben Transfereinnahmen.

Bei vielen Spielern läuft der Vertrag in einem Jahr aus. Stellt Sie das in diesem Sommer vor die Entscheidung: Vertrag verlängern oder verkaufen?

Diese Frage stellen wir uns nicht. Das ist ein Thema bei Vereinen, die wirtschaftlich deutlich weiter sind als wir. Wir müssen da andere Lösungen finden. Wir können nicht sagen: Wenn du nicht verlängerst, verkaufen wir dich. Wir müssen genau abwägen. Wenn zum Beispiel für Niklas Beste niemand eine attraktive Ablösesumme bietet, ist es für uns besser, ihn zu behalten. Er ist einer unserer Leistungsträger und wir können ihn gar nicht für kleines Geld abgeben. Ein weiteres Jahr mit ihm erhöht unsere Chance, in der Bundesliga zu bleiben. Wir werden versuchen, mit unseren Leistungsträgern zu verlängern, aber wir würden auch einen ablösefreien Abgang im nächsten Jahr in Kauf nehmen.

Es gibt noch Spieler, deren Zukunft für die neue Saison noch ungeklärt ist. Wie ist da die Situation?

Mit Niko Dovedan und Florian Pick stehen noch Gespräche an, wie es weitergeht. Kevin Sessa haben wir schon vor längerer Zeit einen neuen Vertrag angeboten, er hätte jeden Tag verlängern können, ringt da aber noch mit sich selbst.

Sollten nach Eren Dinkci auch Niklas Beste und Tim Kleindienst den Verein verlassen, müssten 30 geschossene Tore kompensiert werden. Das wäre eine Mammutaufgabe.

Das stimmt, das könnte auf uns zukommen. Es muss uns wie in der Vergangenheit gelingen, die Leistungsträger, die wir dann gegebenenfalls abgeben, wieder adäquat ersetzen zu können. Aber wir dürfen nicht den Denkfehler machen, dass es da einen Automatismus gibt. Wir haben ein super Trainerteam und ein Umfeld geschaffen, welches extrem leistungsförderlich ist. Die Spieler kommen nicht hierher, weil es zehn tolle Clubs gibt. Sie können sich hier gut auf Fußball konzentrieren und weiterentwickeln. Aber dafür gibt es keine Garantie. Und wir wissen auch nicht, was in dieser Transferphase noch auf uns zukommt.

Da warten viele Unwägbarkeiten auf Sie und den FCH.

Nennen wir es Aufgaben.

Na gut, Aufgaben. Sie haben die ersten Aufgaben für den Kader der neuen Saison schon erledigt und bereits sechs Spieler verpflichtet. Sind Sie zufrieden mit dem aktuellen Stand?

Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Wir können die Phase gelassener angehen, weil wir schon ein paar interessante Spieler verpflichtet haben. Da sind hochspannende Spieler dabei, die jetzt noch nicht im Fokus stehen. Aber im vergangenen Jahr war Eren Dinkci auch nicht im Fokus. Wir haben bei den Neuen schon die Phantasie, dass sie für die nächsten Überraschungen sorgen können.

Es liegt noch viel Arbeit vor Ihnen. Welche Ziele haben Sie sich mit dem FCH für die kommende Saison gesteckt?

Wir hatten uns vor der Saison drei Ziele gesetzt: Den Klassenerhalt, den Erhalt der Euphorie und dass wir das Thema Stadionausbau weiterbringen. Ein Jahr später können wir sagen: Wir haben die Chance auf die Play-offs der Conference League und die Euphorie ist noch größer – das spüren wir tagtäglich. Seit beispielsweise letzte Woche das neue Heimtrikot vorgestellt wurde, haben wir schon mehr als 1.000 Stück verkauft. Diese Marke haben wir früher erst nach Monaten erreicht. Und auch beim Thema Stadionausbau geht es voran, der nächste Schritt wäre dabei der Satzungsbeschluss des Heidenheimer Gemeinderats im Herbst. Diese Saison ist fantastisch für uns gelaufen und unsere Ziele können wir genauso auch für die kommende übernehmen. Wenn Sie mir heute sagen würden, wir werden nächstes Jahr 15. in der Bundesliga, dann würde ich das sofort unterschreiben.

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