Fußball-Europameisterschaft

So fiebern Fußballfans im Landkreis Heidenheim mit der türkischen Nationalmannschaft mit

Endspurt bei der Europameisterschaft: Deutschland und die Türkei sind zwei von den letzten acht verbliebenen Nationen. Viele Fußballfans, die im Landkreis Heidenheim geboren wurden, haben türkische Wurzeln. Wie sie die EM erleben, warum zwei Herzen in ihrer Brust schlagen und warum der übertragende Fernsehsender wichtig ist:

Feiern will gelernt sein. Und das können sowohl Fans der deutschen als auch der türkischen Nationalmannschaft, was sie auch in Heidenheim bei der laufenden Europameisterschaft unter Beweis stellen. Während Deutschland am Freitag, 5. Juli, im Viertelfinale auf Spanien trifft (18 Uhr), misst sich die Türkei am Samstag mit den Niederlanden (21 Uhr). Viele Fußballanhänger aus dem Landkreis Heidenheim fiebern mit beiden Teams mit. Weil sie in Deutschland geboren wurden, allerdings türkische Wurzeln haben.

So wie Kemal Alizoroglu, der in Heidenheim geboren wurde und seit 50 Jahren in Deutschland lebt. Allerdings ist er Vorstandsmitglied beim Fußball-Kreisligisten Türkspor Heidenheim. „Wenn die Türkei gegen Deutschland spielen würde, müsste ich überlegen, für wen ich wäre. Aber wenn die Türkei gegen andere Mannschaften spielt, bist du Türke“, erklärt Alizoroglu. Die zwei Nationalitäten begleiten ihn seit seiner Geburt.

Kemal Alizoroglu ist Vorstandsmitglied bei Türkspor Heidenheim. Foto: Markus Brandhuber

Den 2:1-Sieg der Türkei gegen Geheimfavorit Österreich sahen die Türkspor-Mitglieder im Vereinsheim an der Wilhelmstraße. Anschließend wurde auf der Straße gefeiert. „Wenn jemand von außerhalb das gesehen hätte, hätte er sich bestimmt gefragt: Was ist denn hier los?“, sagt Alizoroglu – und lacht. Gerne hätte der Verein fürs Spiel gegen die Niederlande wieder ein Public Viewing auf dem Platz am Fischerweg in Schnaitheim organisiert. Aufgrund der unbeständigen Wettervorhersage wird es dazu aber nicht kommen. Das Gruppenspiel der Türkei gegen Portugal sahen hier knapp 300 Fußballfans, erzählt Kemal Alizoroglu. „Das war schon eine geile Atmosphäre.“

Abteilungsleiter beim TKSV Giengen: Kemal Lelik. Foto: Rudi Penk

Gemeinsam das Spiel schauen möchte man auch beim Türkischen Kultur- und Sportverein Giengen. Und zwar in der Moschee. Möglich wird's, weil die Partie vom Fernsehsender „RTL“ übertragen wird. Gegen Österreich hatte „Magenta TV“ die Rechte. Laut Lelik läuft die Übertragung da aber noch nicht einwandfrei. „Wir wollen die Leute nicht enttäuschen, falls das Bild mal wieder eingefroren ist“, sagt der 28-Jährige. Nach dem Sieg trafen sich aber alle in der Stadt. „Es ist ein bisschen wie in einem Märchen. Der letzte Erfolg liegt ja doch lange zurück“, blickt Lelik auf das Jahr 2008 zurück. Damals setzte sich Deutschland im EM-Halbfinale mit 3:2 gegen die Türkei durch.

Ein Tänzchen gefällig? Selahattin Acar von Türkspor Heidenheim probiert es. Foto: Türkspor Heidenheim

Kemal Lelik hat die doppelte Stastsbürgerschaft und freut sich darüber, dass sowohl Deutschland als auch die Türkei im Viertelfinale stehen. „Für mich ist es eine Art Doppel-Triumph“, sagt der Abteilungsleiter des TKSV Heidenheim, der sich als türkischstämmigen Deutschen sieht. In einem Finale wäre er aber für die Türkei.

Mittendrin im Leipziger Stadion: Cevat (links) und Kerem Gültekin vom FSC Heidenheim. Foto: cg

Einige Spieler und Verantwortliche des TKSV haben Spiele auch vor Ort im jeweiligen Stadion geschaut. So auch Kicker des FSC Heidenheim (angelehnt an Fenerbahçe Istanbul). FSC-Trainer Cevat Gültekin war mit seinem Bruder Kerem in Leipzig dabei. „Wir waren insgesamt 24 Stunden auf den Beinen. Aber es war mega“, sagt Kerem Gültekin. Im Leipziger Stadion seien die türkischen Anhänger in der Mehrheit gewesen. „Schon nach der ersten Halbzeit hatte ich keine Stimme mehr“, erzählt der 19-Jährige. In der Schlussphase habe er fast einen Herzinfarkt bekommen, weil es so spannend war.

Sergen Demiröz ist Mitbegründer des FSC Heidenheim. Foto: Markus Brandhuber

Doch auch in Heidenheim wurde das Weiterkommen der Türkei gefeiert. „Die türkischen Fußballfans sind ja bekannt dafür, dass sie richtig gut Stimmung machen“, sagt Sergen Demiröz. „Da wir türkische Wurzeln haben, sind wir immer bei den Spielen dabei. Es ist wirklich der Hammer, gerade für fußballbegeisterte Menschen, dass da immer so eine Stimmung herrscht“, so der Mitbegründer des FSC. „Wir waren sehr froh über den Sieg gegen Österreich und haben es in Heidenheim richtig krachen lassen.“

Bleibt also abzuwarten, wie es am Samstagabend nach dem Spiel der Türkei gegen die Niederlande aussehen wird. Und ob auf dem Heidenheimer Rathausplatz wieder viele türkische Fahnen zu sehen sein werden.

So bewerten Heidenheimer den Gruß des Doppeltorschützen Merih Demiral 

Beim 2:1-Sieg der Türkei gegen Österreich zeigte Merih Demiral, der beide Tore für die Türkei erzielte, den sogenannten Wolfsgruß, einer laut „Kicker“ fragwürdigen nationalistischen Geste. „Beim Torjubel zeigte er mit beiden Händen den Wolfsgruß, das Handzeichen der ‚Grauen Wölfe‘“, so der „Kicker“. Und weiter: „Als ‚Graue Wölfe‘ werden die Anhänger der nationalistischen und rechtsextremistischen ,Ülkücü-Bewegung' bezeichnet, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.“

Demiral betonte er, dass keine „versteckte Botschaft“ dahinterstecke. „Wir sind alle Türken, ich bin sehr stolz darauf, Türke zu sein, und das ist der Sinn dieser Geste“, sagte der 26-Jährige. „Ich wollte einfach nur demonstrieren, wie sehr ich mich freue und wie stolz ich bin. Es wird hoffentlich noch mehr Gelegenheiten geben, die Geste zu zeigen.“

Mit dem in Deutschland nicht strafbaren Gruß hat Kemal Alizoroglu kein Problem. „Es ist ein Gruß einer extremen Partei, die aber legal ist. Es sind ja keine Terroristen“, so das Vorstandsmitglied von Türkspor Heidenheim. Eine etwaige Sperre seitens der Uefa wäre laut Alizorglu übertrieben. Ähnlich sieht es Kemal Lelik. „Für mich ist der Gruß nicht rassistisch und nicht extrem. Er ist ein Symbol für die Türkei. Das wird jetzt etwas hochgepuscht“, so der Abteilungsleiter des TKSV Giengen.

Gegenüber der „Sportschau“ erklärte Autor Burak Yilmaz, der seit Jahren zu den „Grauen Wölfen“ recherchiert: „Der Wolfsgruß ist ein antidemokratisches, rechtsextremes Symbol. Dass es von einem Nationalspieler gezeigt wird, ist eine absolute Vollkatastrophe. Daraus spricht die pure Menschenverachtung. Demiral hat gesagt, dass er den Gruß bei Fans gesehen und zurückgegrüßt habe. Es ist schon ein riesiges Problem, wenn Fans den Gruß zeigen. Aber wenn es ein Spieler macht, entwickelt das eine Dynamik und bekommt eine Reichweite, die sehr problematisch ist.“

UPDATE: Am Freitag, 5. Juli, hat die Uefa Merih Demiral für zwei Spiele in Uefa-Wettbewerben gesperrt.