Droht der Kollaps im Amateur-Fußball?

Warum die Spiele der D-Jugend bald ohne Schiedsrichter stattfinden

Weil die Zahl der Schiedsrichter seit Jahren sinkt, werden im Landkreis Heidenheim zahlreiche Jugendspiele nicht mehr von Unparteiischen geleitet. Um diesem Trend entgegenzuwirken, sendet Bernd Birkenmaier – Obmann der Heidenheimer Schiedsrichter – einen Hilferuf an die Vereine, Zuschauer und den Verband.

Warum die Spiele der D-Jugend bald ohne Schiedsrichter stattfinden

Ob wegen eines falschen Pfiffs, vermeintlich arroganter Körpersprache, eines Eingriffs des Videoassistenten oder der angeblich wenig selbstkritischen Äußerungen nach den Spielen – zu meckern gab es an den Profi-Schiedsrichtern auch in dieser Saison eigentlich immer etwas. Freilich gibt es auch Ausnahmen, aber die Männer in Schwarz waren bei vielen Trainern, Fans, Journalisten oder Experten eine beliebte Zielscheibe. Wenn kein Schuldiger auszumachen war, ist eben der Schiedsrichter der Schuldige gewesen. In den sozialen Medien eskalierte es nach einigen Spieltagen dermaßen mit Beleidigungen und Bedrohungen, dass einzelne Unparteiische nur unter Polizeischutz in der Öffentlichkeit auftraten.

Zur Motivation, als Jugendlicher selbst zur Pfeife zu greifen, trägt das natürlich nur wenig bei. Doch auch auf regionaler Ebene gibt es Hindernisse für junge Schiedsrichter oder die, die es werden wollen. Die Folgen sind auch im Landkreis Heidenheim zu spüren. So weitreichend, dass Bernd Birkenmaier vor der kommenden Saison einen Hilferuf absetzt. „Wenn man eins und eins zusammenzählt, sieht man schnell, dass es so nicht mehr lange gut geht“, sagt der Obmann der Heidenheimer Schiedsrichtergruppe.

Altersschnitt der Heidenheimer Schiedsrichter liegt bei 54 Jahren

Dabei ist die Rechnung einfach: Für einen funktionierenden Spielbetrieb braucht es Schiedsrichter und davon immer wieder neue. Die älteren Schiedsrichter tragen derzeit die Hauptlast der Spiele und bilden das Fundament für den Spielbetrieb. Von Jahr zu Jahr steigt aber der Altersschnitt in den Schiedsrichtergruppen aber an, in Heidenheim liegt er derzeit bei 54 Jahren. Die ersten Folgen der verschleppten Entwicklung zeigten in der vergangenen Saison ihre Wirkung. „Wir mussten bereits Jugendspiele absagen, weil wir sie einfach nicht mehr besetzen konnten“, sagt Birkenmaier.

Und dabei wird es nicht bleiben. Da eine kurzfristige Welle an neuen Referees nicht zu erwarten sein wird, folgt die nächste Hiobsbotschaft. Die Schiedsrichtergruppe hat beschlossen, die Partien in der D-Jugend nicht mehr zu besetzen. Und gleiches könnte in naher Zukunft auf bei den Partien der C-Jugendlichen gelten. „Für die Jugend ist das ein großer Einschnitt. Dass es sie trifft, ist eigentlich eigentlich der falsche Ansatzpunkt“, sagt er.

Zahl der Schiedsrichter sind nicht nur im Landkreis Heidenheim

Zu Saisonbeginn zählte die Heidenheimer Schiedsrichtergruppe nur noch 77 aktive Referees (40 passive) und damit deutlich weniger als in der Vergangenheit. In der Spielzeit 2020/21 waren es noch 94. Der Schiedsrichtermangel ist aber nicht nur ein Heidenheimer Problem, den Bezirk Ostwürttemberg trifft es genauso wie das gesamte Verbreitungsgebiet des Württembergischen Fußballverbands (WFV).

In Württemberg sank die Zahl der Schiedsrichter von rund 6500 im Jahr 2005 auf etwa 4400 zum Ende der Vorsaison. Noch dramatischer ist die Entwicklung bundesweit: 2005 erfasste der Deutsche Fußball Bundes noch rund 78.000 Unparteiische, in der Saison 2021/22 waren es noch etwas mehr als 50.000.

Der FCH und andere Vereine halten Vorgaben nicht ein

Wie viele Schiedsrichter es braucht, um einen reibungslosen Spielbetrieb zu garantieren? Die Vorgaben sind klar. Die Vereine werden angehalten, pro Mannschaft so viele Schiedsrichter zu stellen, wie bei einem Ligaspiel in der Liga gebraucht wird.

So müsste der FCH nur für seine Bundesliga-Mannschaft nach dem Bedarf bei ihren Erstliga-Spielen allein schon vier Unparteiische in ihrer Abteilung stellen – hinzu kommen die Schiedsrichter der weiteren Teams. In dieser Saison bot der Spitzenclub aus dem Landkreis aber gerade einmal drei Unparteiische auf. Wie zahlreiche andere Vereine auch nahm der FCH eine Geldbuße in Kauf, statt die Vorgaben zu erfüllen.

Ältere Schiedsrichter gleiche ungenügende Quote der Vereine aus

Die Erfüllung der Quote ist ohnehin nur eine Wunschvorstellung, die Realität sieht anders aus. Aus dem Saisonbericht des WFV (2021/22) geht hervor, dass die Vereine in Württemberg in der Spielzeit durchschnittlich nur 0,4 Schiedsrichter pro Mannschaft entsandt haben. Zu wenig, damit jede Partie vom Jugend- bis zum Bundesliga-Spiel mit qualifizierten Schiedsrichtern besetzt werden kann.

Dass das System der Schiedsrichter noch nicht kollabiert ist, geht auf das große Engagement der älteren Unparteiischen zurück. „Wir haben Kollegen, die im Laufe einer Saison über 100 Spiele leiten“, sagt Birkenmaier. Lange werde diese Praxis aber nicht mehr funktionieren, so der Obmann, der der Entwicklung selbst entgegentreten will. „Wir haben alles versucht, um unsere Schiedsrichter zu schützen und jetzt müssen wir die Belastung einfach senken“, so der Obmann.

Zusammenwirken aller Akteure des Fußballs notwendig

Doch welchen Weg gibt es aus der Krise, die auch von gesellschaftlichen Trends und der Corona-Pandemie verschärft wurde? Wenn es nach der Heidenheimer Schiedsrichtergruppe geht, ist das Entgegenwirken der Entwicklung nur möglich, wenn alle Beteiligten an einem Strang ziehen: die Schiedsrichter, die Vereine, der Verband und die Zuschauer.

Bei letzteren legt Birkenmaier den Fokus vor allem auf das Verhalten der Eltern am Spielfeldrand. „Es wäre ein Ansatz, sich vor dem Spiel mit Spielern und Eltern zusammenzustellen und ihnen die Situation der jungen Schiedsrichter zu erklären“, sagt der selbst noch aktive Unparteiische.

Als Vorbild könnte eine Aktion aus Niedersachsen dienen: Dort wird das beschriebene gemeinsame Ritual vorab gemacht und auf das Fairplay – auch gegenüber dem Schiedsrichter – appelliert. „Jeder fängt mal an und sollte eine faire Chance erhalten, sonst verlieren wir die jungen Schiedsrichter gleich wieder“, so Birkenmaier.

Erhöhung der Aufwandsentschädigung als Anreiz?

Auch bei den Handlungsmöglichkeiten der Verbände verweist Birkenmaier auf ein Beispiel aus einem anderen Bundesland. So hat der Bayerische Fußballverband die Aufwandsentschädigung für Schiedsrichter um 40 Prozent erhöht, um das Ehrenamt attraktiver zu machen. Eine Anhebung wäre laut Birkenmaier ein Signal für eine größere Wertschätzung und die Jugendlichen könnten sich nicht nur etwas dazu verdienen, sondern gleichzeitig eine wichtige Aufgabe für den Sport übernehmen.

Als treibende Kraft in der derzeitigen Situation sieht der Bankkaufmann aber die Vereine. „Mit ihnen steht und fällt alles“, sagt Birkenmaier, der zu den Schiedsrichtern des RSV Hohenmemmingen zählt. Auf dem Wunschzettel der Heidenheimer Unparteiischen an die Vereine stehen dabei gleich mehrere Punkte: Die Umsetzung der Kampagnen der Verbände rund um die Schiedsrichter, die Sensibilisierung der eigenen Spieler und Trainer für das Verhalten gegenüber den Regelhütern und vor allem die Erfüllung der Vorgaben bei der Abstellung der Schiedsrichter.

Freier Eintritt zu allen Spielen in Deutschland

„Angesichts der vielen Spielgemeinschaften ist zu sehen, welche Probleme es den Vereinen macht, überhaupt genügend Spieler zu finden“, zeigt Birkenmaier Verständnis, fügt aber hinzu: „Die Verantwortlichen sollten trotzdem aktiv auf ihre Mitglieder zugehen und ihnen auch die Vorteile des Schiedsrichterwesens aufzeigen.“

Denn davon gibt es einige: Neben den Lehrabenden veranstaltet die Heidenheimer Schiedsrichtergruppe regelmäßig gemeinsame Ausflüge zu Bundesliga-Spielen wie zuletzt nach Frankfurt oder Dortmund. Zudem erhalten aktive Schiedsrichter freien Eintritt zu allen Partien im deutschen Fußball – und damit auch in der Bundesliga. Das gilt natürlich auch für die Heimspiele des FCH, der wie alle Erst- und Zweitligisten bis zu 300 Tickets für die Schiedsrichter bereitstellen muss.

Birkenmaier: „Der Fußball ist wie ein Kuchen“

Doch reicht das aus, um der fortschreitenden Entwicklung entgegenzuwirken? Bernd Birkenmaier hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben. „Wir werden weiter alles versuchen. Der Fußball ist wie ein Kuchen, er ist nur komplett, wenn alle Stückchen – die Spieler, die Vereine, die Fans, die Verbände und die Schiedsrichter – zusammenfinden“, sagt er.

Bleibt zu hoffen, dass sich der Fußball-Kuchen nicht so verhält wie die Torten in den Eistruhen der Supermärkte – die seit einiger Zeit immer kleiner und kleiner werden.