Als Kind und Jugendliche war Natalie Jung ein vielversprechendes Schwimmtalent. Auf den Schritt zum Leistungssport verzichtete sie allerdings. Im Landkreis Augsburg, wo Jung herkommt, hatte sie mit 14 Jahren ihre erfolgreichste Saison. „Eigentlich hätte ich da zu einem größeren Verein wechseln sollen. Aber mein Heimatverein war mir wichtiger, wegen der Freundschaften. Und später, mit 15, hatte ich andere Interessen“, erinnert sich – und lacht.
Wettkämpfe waren eine lange Zeit nicht mehr ihr Ding. Doch Natalie Jung schwamm weiterhin, auch während ihrer drei Schwangerschaften, wie sie erzählt. Mit ihrem Mann Norbert, den sie in Ulm kennengelernt hatte, zog sie nach 2007 Heidenheim – und kam über ihre damals fünfjährige Tochter Laila zurück zu einem Schwimmverein. „Laila war auch sehr talentiert“, sagt Natalie Jung stolz. Über den HSB ging es für sie 2014 weiter zum SV 04 Heidenheim. Angetrieben durch ihre Tochter begann Natalie Jung, wieder an Wettkämpfen teilzunehmen – im Gegensatz zu ihrer Tochter, die als inzwischen 20-Jährige sich der Leichtathletik verschrieben hat.
Bei den Masters, in der Altersklasse 45, gewann Natalie Jung im vergangenen Jahr bei der deutschen Meisterschaft in Dresden Silber und Bronze. Zweimal die Woche trainiert sie mit der Gruppe beim SV 04, zudem geht sie einmal die Woche für sich in die Aquarena – und zum Krafttraining. „Ich sage mir immer: Ich muss nicht ins Training, ich darf ins Training gehen“, erklärt die 48-Jährige. „Manchmal frage ich mich schon: Was mache ich hier eigentlich? Aber dann tauche ich ins Wasser ein und vergesse alles. Es ist einfach ein tolles Gefühl, im Wasser zu schweben. Der Kopf wird frei und das Herz geht auf.“
In Villingen nahm Jung jüngst bei den offenen baden-württembergischen Masters-Meisterschaften teil. Hier waren immerhin 260 Teilnehmer aus den Landesverbänden Baden, Württemberg, Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und dem Südwestdeutschen Schwimmverband sowie aus der Schweiz und Frankreich am Start. Jung gewann vier Goldmedaillen (über 50 m Rücken, 50 m Freistil, 200 m Rücken und 100 m Freistil) sowie zweimal Silber (über 100 m Rücken und 50 m Brust).
Ihr persönliches Highlight war aber eine Begegnung mit Vivienne Rignall. Die gebürtige Neuseeländerin, die inzwischen in der Schweiz lebt, nahm im Jahr 2000 für ihr Heimatland bei den Olympischen Spielen in Sydney teil (über 50 Meter Freistil). Im Schwimmbecken mit einer Olympionikin? „Ich wusste es vorher nicht“, räumt Natalie Jung ein.
Die beiden waren keine direkten Konkurrentinnen in der Wertung, da Rignall in der AK 50 startet. Da Natalie Jungs Meldungen für den Wettkampf erst nachträglich ins Meldeergebnis eingetragen wurden, musste sie eben dort mitschwimmen, wo sie zugeteilt wurde, also nicht immer in ihrer Altersklasse.
Ihre Paradestrecke über 50 m Rücken konnte Jung tatsächlich in einer Zeit von 36,32 min mit einer Zehntelsekunde Vorsprung knapp „für sich entscheiden“. Doch über 100 m Freistil (in 1:08,30 min) wurde der Unterschied zu der Ausnahmeathletin und drei Sekunden Rückstand wieder deutlich. „Ich hatte versucht, mit ihr mitzuhalten. Aber nach dem Start war sie weg. Ich hätte nur noch ihre Füße kitzeln können“, sagt Natalie Jung – und lacht wieder.
Im Ausschwimmbecken sprach sie Rignall, die beiden hatten sich bereits vor den Wettkämpfen miteinander unterhalten, darauf an: „Oh, Gott! Wer bist du? Warum bist du so schnell?“ Und: „Ich habe sie, so wie das unter Schwimmern üblich ist, auch gefragt, was früher ihre Bestzeit über 100 Meter gewesen ist. Sie meinte 56 Sekunden. Das ist schon der Hammer.“ Und dann habe Rignall, ganz bescheiden, nebenbei erwähnt, dass sie mal bei den Olympischen Spielen dabei gewesen ist. „Das war für mich schon sehr beeindruckend. Das Schönste sind eben doch nicht die Medaillen, sondern die Bekanntschaften, die man macht“, sagt Natalie Jung, die gegenüber der ehemaligen Olympionikin einen Wunsch äußerte: „So eine wie dich bräuchte im Training.“
Natürlich wurden Nummern ausgetauscht – und womöglich kommt es zu einem Wiedersehen, zum Beispiel in Lausanne, wo Vivienne Rignall lebt. Bis dahin wird Natalie Jung weiter fleißig trainieren – und dabei auch von ihrem Mann Norbert unterstützt. „Eigentlich hat er darauf gewartet, dass ich aufhöre. Jetzt geht er aber mit ins Training. Es ist schön, dass wir ein gemeinsames Hobby haben.“ Aus dem Schwimmbecken ist sie nämlich nicht ganz so leicht rauszubekommen, sagt Natalie Jung. „Ich hangle mich von Jahr zu Jahr.“
Sportbegeisterte Familie Jung
Natalie und Norbert Jung haben auch zwei Söhne, die sportbegeistert sind: Cedric (22) und Quentin (14) sind Teil des Wasserballteams des SV 04 Heidenheim.