Weltmeister, Europameister, deutscher Meister: Was es im Bankdrücken auch an renommierten Titeln zu gewinnen gibt, Andreas Kling hat sie allesamt schon mehrfach geholt. Pokale und Urkunden in Hülle und Fülle schmücken die Wände des Kraftraums in seinem Burgberger Wohnhaus. Vor kurzem wurde die Titelsammlung um eine Trophäe bereichert, die für ihn besondere Bedeutung hat.
Der frischgewonnene Pott entstammt „einem der schönsten Wettkämpfe, den ich je bestritten habe“, sagt Andreas Kling. Das Ungewöhnliche daran war ausnahmsweise mal nicht der sportliche Erfolg, sondern der Austragungsort des Wettkampfes. Er fand hinter verschlossenen Türen statt: in der Justizvollzugsanstalt Euskirchen.
Seit einigen Jahren gibt es dieses ungewöhnliche Kräftemessen im Gefängnis, an dem sich sowohl Häftlinge als auch Nicht-Insassen beteiligen. Der Sportbeauftragte der JVA Euskirchen gehört der German Powerlifting Union an und hat das Event einst initiiert. Andreas Kling nahm in diesem Jahr erstmals daran teil – zum einen, weil er die besondere Atmosphäre kennenlernen wollte, zum anderen auch, weil ihm der Gedanke gefiel, der hinter der Aktion steckt: Menschen, die irgendwie vom rechten Weg abgekommen sind, neu fürs Leben zu motivieren.
Dass Letzteres keine leere Floskel blieb, hat er auf beeindruckende Weise erleben dürfen. Es kam unter den 40 ausschließlich männlichen Teilnehmern zu ungezwungenen Gesprächen, weil niemand wusste, wer denn nun ein Häftling und wer ein freier Mensch ist. Höhepunkt war der Moment, als ihn ein junger Strafgefangener während des Wettkampfes ansprach. „Er hat mir erzählt, wie sehr ihn meine Leistung beeindruckt hat, und sagte dann, dass er ab dem heutigen Tag sein Leben ändern möchte. Da sind Tränen geflossen.“
„Er hat mir erzählt, wie sehr ihn meine Leistung beeindruckt hat, und sagte dann, dass er ab dem heutigen Tag sein Leben ändern möchte. Da sind Tränen geflossen.“
Andreas Kling über einen Gefängnis-Insassen
Für den 57-jährigen Burgberger stand der ganze Tag unter einer „unglaublichen Atmosphäre und einzigartigen Stimmung“. Er sei froh und sehr berührt, das erlebt zu haben. Der sportliche Erfolg, sagt Kling, war bei diesem Wettbewerb sekundär (obwohl er seine eigene Bestmarke im Bankdrücken mit 175 Kilogramm erneut abliefern konnte). Das Zwischenmenschliche stand stattdessen im Mittelpunkt.
Für jemanden, der nur das Leben in Freiheit kennt, lieferten allein schon die Umstände einen Einblick in eine andere Welt. Personalausweis und Handy mussten abgegeben werden. Wollte man die Mensa verlassen, in der die Wettkämpfe stattfanden, ging das auch für Nicht-Insassen nur mit Begleitperson. Entsprechend gibt es auch keine Fotos oder Videos vom Ereignis.
Sicher haben auch diese ungewöhnlichen Sicherheitsmaßnahmen dazu beigetragen, dass das Ereignis alle so tief berührte. Über das ganze Wochenende fühlte sich Kling in besonderem Maße begünstigt, denn auch außerhalb der Gefängnismauern öffneten sich ihm alle Türen.
Mit seinem Kastenwagen war er allein die rund 500 Kilometer in die Stadt am Nordrand der Eiffel gefahren (Euskirchen liegt grob zwischen Bonn und Köln). Nach der Anreise entschied er sich, angesichts der niedrigen Temperaturen doch lieber ein Hotelzimmer zu beziehen, statt in seinem Fahrzeug zu übernachten. Er erwischte das letzte freie Zimmer eines Hotels in Bonn, ergatterte den letzten freien Parkplatz in der Tiefgarage.
„Und gleich auf der anderen Straßenseite befand sich eine wunderschöne Kirche.“ Die suchte der gläubige Katholik auf, um sich zu sammeln und zu beten. „Ich bete vor Wettkämpfen nicht darum, dass ich gewinne, sondern darum, dass wir alle gesund bleiben“, sagt der Burgberger.
Auch ohne konkrete Bitte stellte sich fast schon beiläufig der sportliche Erfolg ein. Kling durfte den Siegerpokal mit gedrückten 175 Kilogramm mit nach Hause nehmen und bestätigte damit zum dritten Mal den von ihm gehaltenen Europarekord seiner Alters- und Gewichtsklasse. Dieser Pokal ist für ihn etwas ganz Besonderes: Häftlinge fertigten ihn der Schlosserei der Vollzugsanstalt an.
Ob er nochmals an dem Gefängnis-Wettbewerb teilnehmen wird, ist allerdings eher zweifelhaft. „Das war für mich so ein einmaliges Erlebnis, das mit Sicherheit nicht mehr zu toppen ist“, sagt er – und wird es deshalb wohl auch bei dieser Einmaligkeit belassen.
Andreas Kling: Bestmarke dreimal gedrückt
Andreas Kling stemmte in Euskirchen mit seinen 175 Kilogramm zwar „nur“ das drittschwerste Gewicht, ging aber dennoch als Gesamtsieger des verbandsfreien Wettbewerbs hervor. Gewertet wurde nach einem System, das Körpergewicht und Lebensalter berücksichtigt. Die zwei Teilnehmer, die 205 bzw. 185 kg gedrückt hatten, waren rund 30 Jahre jünger und 15 Kilo schwerer als Kling.
175 Kilogramm sind zugleich Klings persönliche Bestmarke im Bankdrücken. Dreimal konnte der amtierende Weltmeister der World Drugfree Powerlifting Federation in diesem Jahr diese Marke erzielen. „Aber ich spüre auch, dass das meine Grenze ist. Mit 57 Jahren muss ich wohl akzeptieren, dass es in Zukunft auch mal weniger sein wird.“