Bundestrainer kommt nach Gerstetten

Wie Nationaltrainer Jörg Roßkopf als Tischtennisspieler bei der Europameisterschaft in Stuttgart zur Legende wurde

Hohen Besuch erwartet die Tischtennis-Abteilung des VfL Gerstetten am Sonntag, 2. März: Der frühere Doppel-Weltmeister, Europameister, fünffache Olympiateilnehmer und jetzige Bundestrainer Jörg Roßkopf wird Trainingseinheiten mit Kindern und Jugendlichen leiten. Thomas Grüninger hat als Sportredakteur einige der großen Erfolge „Rossis“ live miterlebt und erinnert sich:

Man spricht Schwedisch: Wer in den Siebziger und Achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der europäischen Tischtennis-Elite kommunizieren wollte, war klar im Vorteil, wenn er den skandinavischen Zungenschlag beherrschte. Die großen Könner im Spiel mit dem kleinen Zelluloidball kamen in dieser Zeit fast ausnahmslos aus dem Land, in dem die einstige Heidelberger Olympia-Hostess Silvia Sommerlath durch Heirat mit Carl Gustaf zur Königin wurde.

Während Silvia in Stockholm residierte, spielten die Könige des Pingpongs in der Bundesliga: Stellan Bengtsson, Ulf „Tickan“ Carlsson, Ulf Thorsell, Jan-Ove Waldner, Jörgen Persson, Mikael Appelgren. Fast bei jedem deutschen Klub war Position eins im Team von einem dieser Welt- oder Europameister besetzt.

Deutsche Spieler, die an der Tischtennis-Krone der Schweden kratzen wollten, wurden lange Zeit buchstäblich abgeschmettert. Zu groß war die Distanz, als dass sich die Hierarchie auf den Kopf stellen ließ. Immerhin verkündete der Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes, Hans Wilhelm Gäb, in jenen Tagen das Ziel, das deutsche Team solle zur zweiten Macht in Europa werden. Hinter den Schweden eben. Mit höheren Vorgaben hätte er sich womöglich lächerlich gemacht.

Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner holen Tischtennis aus dem Schattendasein

Dann, bei der Tischtennis-Weltmeisterschaft 1989 in Dortmund, lachte plötzlich keiner mehr über die Deutschen. Ein 19-jähriges Ausnahme-Talent namens Jörg Roßkopf und sein ein Jahr älterer Partner Steffen Fetzner sicherten sich völlig überraschend den WM-Titel im Doppel. Das neue Traumpaar „Rossi“ und „Speedy“ hatte nicht nur den Schweden-Komplex besiegt, sondern auch eine Sportart aus dem Schattendasein geholt, die das Fernsehen (einseitig geblendet in jenen Tagen vom Boom um die Tennis-Asse Boris Becker und Steffi Graf) meist links liegen ließ.

Olympische Spiele 2024 in Paris: Bundestrainer Jörg Roßkopf mit den Spielern Dang Qiu (links) und Timo Boll. Foto: Eibner/Benjamin lau

Der Linkshänder Roßkopf war der sachlich-ruhende Gegenentwurf zum nur 168 Zentimeter großen Platten-Irrwisch Fetzner. 1992, bei den Europameisterschaften in Stuttgart, war die Hoffnung groß, dass „Rossi“ und „Speedy“ erneut zünden würden und somit wenigstens im Doppel die schwedische Dominanz weiter bröckeln könnte. Doch das deutsche Duo musste früh die Segel streichen. Als die Medaillengewinner dieses Wettbewerbs gekürt wurden, zog man die blaue Flagge mit dem gelben Kreuz gleich dreimal hoch. Die Schweden hatten alles abgeräumt, und die EM im eigenen Land schien aus deutscher Sicht verhagelt.

Bei der Europameisterschaft in Deutschland überraschte Jörg Roßkopf

Aber es gab ja noch den Einzelwettbewerb. Und da geschah Wundersames. Wie in einem bekannten Abzählreim verabschiedeten sich die Schweden nacheinander. Aber Jörg Roßkopf mischte tapfer mit. Der nervenstarke Hoffnungsträger aus dem südhessischen Dieburg mit dem starken Vorhand-Topspin steigerte sich von Spiel zu Spiel und stand plötzlich im Finale. Ein gewisser Erich Arndt aus Mörfelden war zuvor der einzige Deutsche, dem so etwas gelang. Aber das lag schon drei Jahrzehnte zurück.

Im Finale putzte Jörg Roßkopf den Belgier Jean-Michel Saive mit 3:1-Sätzen von der Platte. Und als danach die deutsche Nationalhymne erklang, war von den schwedischen Top-Spielern keiner mehr in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle.

Es war kein Schwede im Halbfinale. Ich hoffe, es haben einige kapiert, dass auch die anderen ganz gut Tischtennis spielen können.

Jörg Roßkopf 1992 bei der Europameisterschaft in Stuttgart

Das deutsche Fernsehen war zwar in der Halle, lieferte allerdings keine Livebilder vom packenden Finale, sondern übertrug stattdessen ein Tanzturnier aus Köln und interviewte dabei Orchesterchef Hugo Strasser statt Europameister Jörg Roßkopf. Letzterer genehmigte sich derweil in der Pressekonferenz ein frisch gezapftes Pils und stellte süffisant fest: „Es war kein Schwede im Halbfinale. Ich hoffe, es haben einige kapiert, dass auch die anderen ganz gut Tischtennis spielen können.“

Es dauerte noch eine Weile, bis es auch das Fernsehen kapierte …

Der Bundestrainer zu Gast in Gerstetten

Es wird sicherlich ein großer Tag für die Tischtennis-Abteilung des VfL Gerstetten. Mit Jörg Roßkopf wird der Herren-Bundestrainer am Sonntag, 2. März, in Gerstetten eine Trainingseinheit für Kinder und Jugendliche in der Georg-Fink-Halle leiten (von 10 bis 15 Uhr). Nachwuchsspielerinnen und -spieler des
VfL Gerstetten sowie von anderen Vereinen des Tischtennisbezirks Ostalb werden daran teilnehmen.

Die insgesamt drei Trainingseinheiten stehen unter dem Motto Erlebnistag der SV SparkassenVersicherung. Damit engagiert sich diese speziell beim Nachwuchs- und Breitensport.

Trainiert wird am Sonntag in Gerstetten an zehn Tischtennistischen, Jörg Roßkopf wird dabei von A-Lizenz-Trainerin Theresa Preston vom SV Waldhausen und Vereinstrainern des VfL Gerstetten unterstützt. Zuschauer sind in der Halle willkommen. Der Eintritt ist frei, im Anschluss gibt es eine Autogrammstunde mit Jörg Roßkopf.

Jörg Roßkopf ist deutscher Rekord-Nationalspieler (272 Länderspiele). Zusammen mit Steffen Fetzner wurde Roßkopf 1989 Weltmeister im Doppel. Bei den Olympischen Spielen drei Jahre später in Barcelona gewannen die beiden die Silbermedaille. Im Einzel wurde Roßkopf im selben Jahr Europameister, bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta gewann er Bronze. Seit August 2010 ist Jörg Nationaltrainer 2010, zu den größten Erfolgen zählt der Gewinn der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar