Der Mann ist einfach ein Phänomen: Zum zweiten Mal sorgte Ralf Bißdorf dafür, dass olympischer Medaillenglanz auch auf Heidenheim fällt. Im Jahr 2000 hatte er in Sydney Silber geholt, nun führte der 53-Jährige in Paris als Trainer die US-amerikanischen Florettdamen zu Gold mit der Mannschaft und im Einzel.
Lange Tage und viele Ortswechsel sind für Ralf Bißdorf nichts Außergewöhnliches, so ließ er es sich nicht nehmen, nach dem Triumph in der französischen Metropole kurz in der alten Heimat vorbeizuschauen. Nach einem Treffen mit seinem ehemaligen Trainer Thomas Zimmermann blieb noch Zeit für ein Interview, ehe er sich mit Vater Rolf – über einen kleinen Umweg – wieder nach Paris aufmachte, wo noch eine Ehrungszeremonie für die Fechter ansteht, zu der dann auch seine Frau Joan aus den USA anreist.
Erstes Teamgold für die US-Fechter
Bei alldem Trubel den Olympia-Triumph schon einzuordnen, ist natürlich nicht leicht, Bißdorf weiß aber eines: „Es war das erste Teamgold für die USA im Fechten überhaupt, wir haben Geschichte geschrieben.“ Und das in einem phantastischen Turnier. Die Halle war während der Fechtturniere mit 8000 Zuschauern stets ausverkauft, die Stimmung prächtig. Acht Teams waren am Start, Bißdorfs Truppe mit Jackie Dubrovich, Maia Weintraub, Lauren Scruggs und Lee Kiefer schlug China mit 45:37 und Kanada unerwartet klar 45:31. So standen sich im Finale mit den USA und Italien die großen Favoriten gegenüber.
Lange Zeit hatten die Amerikanerinnen ein Italien-Trauma, erst in der Bißdorf-Ära gelang endlich ein Sieg. „Wir haben die richtige Taktik gefunden und die hat auch dieses Mal funktioniert“, sagt der Schnaitheimer, der stets einen klaren Plan hat. Dazu zählte auch ein Wechsel einer Fechterin im Finale, der bei vielen für Erstaunen sorgte.
Dazu Gold und Silber im Einzel
Doch es ging alles auf, nach einer 40:32-Führung gab Lauren Scruggs im Schlussgefecht zwar gegen die erfahrenste Italienerin zunächst vier Treffer ab, behielt aber die Ruhe und brachte schließlich souverän den 45:39-Sieg unter Dach und Fach. Danach war der Jubel riesig, ebenso die Resonanz in den Vereinigten Staaten. Denn es war nicht nur das historische erste Mannschaftsgold im Fechten, die amerikanischen Florettdamen dominierten auch im Einzel: Lee Kiefer gewann das Finale gegen Lauren Scruggs mit 15:6, so nahmen die Amerikanerinnen Gold und Silber mit nach Haus.
Nach dem Mannschaftswettkampf folgte ein kompletter Medientag mit zahllosen Interviews. „Zum Glück sind die Medien in den USA sehr athletenorientiert“, schmunzelt Bißdorf, der eher wenig vor Kameras und Mikrophonen stand. Das ist ihm auch nicht wichtig, die heftige Party im amerikanischen Haus in Paris hat er aber gerne mitgenommen. „Wir waren patschnass von Champagner und es gab viele lustige Momente. So hat Lauren zu mir gesagt: Ich hab mich immer gefragt, warum man ausgerechnet einen Deutschen für diesen Job genommen hat, aber jetzt weiß ich es…“
Das Ende einer langen Reise
Letztlich war das olympische Turnier für Bißdorf das ersehnte Ziel nach einer zweieinhalbjährigen Reise. Nach seiner Aktivenlaufbahn arbeitete der langjährige HSB-Fechter unter anderem sehr erfolgreich als Trainer und Berater in Singapur, ging dann 2016 an die Marx Fencing Academy in den USA. Dort wechselte er zu einem der 25 (!) Fechtclubs in Boston und wurde 2022 zusätzlich Nationaltrainer der amerikanischen Florettfechterinnen.
Der Anlass war ein trauriger, sein Vorgänger kam bei einem Motorradunfall ums Leben. Bißdorf war nicht der einzige Kandidat, überzeugte aber mit seinem Konzept. „Ich hatte schon ein bisschen Glück, als Ausländer diesen Posten zu bekommen. Aber ich hatte auch eine klare Vorstellung. Ohne internationale Erfolge im Jugend- und Juniorenbereich holt man am Ende auch keine Medaillen bei den Olympischen Spielen“, erklärt der Coach. In den USA stimmt die Pyramide, je weiter es nach unten geht, umso mehr Athletinnen sind am Start.
US-Fechter investieren viel
Dabei sind die Dimensionen für deutsche Fechter fast unvorstellbar. Da starten schon mal 500 Athleten beim Juniorenturnier, da werden Meisterschaften – an einem Nachmittag – in riesigen Hallen gleichzeitig auf 108 Bahnen ausgefochten. Die jungen Athleten und ihre Familien investieren viel – Zeit, Schweiß und auch Geld. „Jede Lektion mit einem Fechttrainer kostet, da kommen schon mal 1000 Dollar im Monat zusammen“, weiß Bißdorf. Das Ziel sind vor allem die begehrten Plätze am College, die es unter anderem eben auch durch Sport-Stipendien gibt.
Und doch stecken viele Einzelschicksale dahinter, auch im Nationalteam. „Es sind vier phantastische Athletinnen und ich bin so glücklich, dass sie ihr Ziel erreicht haben, das ist unbeschreiblich. Jackie hat beispielsweise ihren Job gekündigt, um sich vorbereiten zu können, beendet nun ihre Karriere“, erzählt Bißdorf und beschreibt, wie Lauren Scruggs während der Reisen zu Fechtturnieren jede freie Minute auf dem Flughafen am Laptop sitzt, um etwas für ihr Studium zu machen. Auch er stieg viele Male abends in Europa in den Flieger, um dann morgens in Boston anzukommen und den ganzen Tag in der Fechthalle zu verbringen.
Bleibt Bißdorf Nationalcoach?
Wie lange Bißdorf das noch machen will, machen kann, ist offen, die weiteren Entscheidungen wird er nur in Absprache mit seiner Frau treffen. Aber nach diesen Erfolgen gibt es natürlich viele Stimmen, die sich für ihn aussprechen, erreichen ihn schon etliche Nachrichten, in denen er gebeten wurde, weiter Nationaltrainer zu bleiben. Nicht zuletzt: Die nächsten Olympischen Sommerspiele finden in den USA statt.
Bleibt noch die Frage, welche Chancen das deutsche Fechten, das weit von den früheren Erfolgen entfernt ist, angesichts des Booms in den USA oder vielen asiatischen Staaten überhaupt noch hat. Bißdorfs Rat: „Ich denke, dass es auch hier sehr kompetente Leute gibt, aber man braucht natürlich ein schlüssiges Konzept. Und man braucht im positiven Sinne Verrückte, so wie Frank Schmidt und Holger Sanwald vom FCH oder Klaus Eckle von den Heideköpfen. Alles ist möglich, wäre hätte vor 20 Jahren gedacht, dass die Heidenheimer Fußballer mal in der Bundesliga spielen?“