Anlässlich des 86. Jahrestags der Pogromnacht hat der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung, Michael Blume, auf Hass und Hetze gegen Jüdinnen und Juden vor allem im Internet hingewiesen. Der Antisemitismus sei in Baden-Württemberg nie verschwunden gewesen, schreibt Blume in einem Gastbeitrag für die «Badischen Neuesten Nachrichten» (Samstag/Karlsruhe). «Er kehrt jetzt als Antizionismus mit digitaler Wucht zurück. Daher möchte ich an diesem 9. November nicht nur an die Schrecken der Vergangenheit erinnern, sondern auch auf die Bedrohungen hinweisen, die Jüdinnen und Juden heute im neuen Gewand erfahren müssen.»
Unter Antisemitismus versteht man feindselige oder hasserfüllte Einstellungen und Verhaltensweisen gegenüber den Juden und Jüdinnen. Der Antizionismus ist eine politische Ideologie, die sich letztlich gegen den Staat Israel als jüdischen Staat wendet.
Hass schwappt vom Netz auf die Straße
«Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Angriffe gegen Jüdinnen und Juden und gegen jüdische Einrichtungen steigen rasant an», schreibt Blume. «Im Internet werden sie täglich beleidigt und bedroht. Und immer wieder schwappt dieser Hass auch auf die Straße.»
Die Feindschaft gegen Jüdinnen und Juden sei nicht einfach mit dem Ende der Naziherrschaft 1945 verschwunden. Antisemitismus gebe es bis heute, hält Blume fest.
Judenfeindlichkeit aus Bildungsneid
Das Judentum sei mit der Entwicklung eines Alphabets vor fast 4.000 Jahren zur ersten Religion mit Heiliger Schrift in Alphabetzeichen geworden, erläutert er. Es sei religiöse Pflicht gewesen, dass auch die Kinder aus ärmeren Familien Lesen und Schreiben lernen. «Das Judentum wurde so zur ersten Bildungsreligion und konnte fortan auch ohne Tempel und sogar fast zwei Jahrtausende ohne eigenes Land überleben.» Doch nachfolgende Religionen und Weltanschauungen hätten dem Judentum seine bedeutende Rolle kaum gedankt.
«Aus diesem Bildungsneid entstanden die antike Judenfeindlichkeit, der mittelalterliche Antijudaismus und schließlich der rassistische und massenmörderische Antisemitismus», schreibt Blume. Heute eskalierten auch in Baden-Württemberg antisemitische Bedrohungen und Gewalttaten, besonders betroffen seien Universitätsstädte. «Das erinnert daran, dass formale Bildung alleine nie vor Verschwörungsglauben geschützt hat.»
Antisemitismus im Alltag
Zuerst in Washington oder Berlin, inzwischen aber auch etwa in Mannheim und Heidelberg, erlebten unter anderem jüdische Studierende den Vormarsch des Antisemitismus in ihrem Alltag, betont Blume. «Sie werden digital mit Hamas-Zeichen markiert und der barbarische Terror des 7. Oktober wird vor ihren Augen als Befreiungskampf gefeiert.» Einige jüdische Studierende versteckten inzwischen religiöse Symbole und Kleidungsstücke, manchen falle die Fortsetzung des Studiums zunehmend schwer.
Am 9. November wird bundesweit an die Opfer der nationalsozialistischen Pogrome und an die systematische Ermordung der europäischen Juden erinnert. In der Nacht auf den 10. November 1938 hatten im Deutschen Reich Synagogen gebrannt. Zudem begannen unter den Nationalsozialisten direkte und gezielte Gewaltaktionen gegen die jüdische Bevölkerung.
Solche gewalttätigen Verfolgungen, die sich gegen Minderheiten in einem Staat richten, bezeichnet man laut der Bundeszentrale für politische Bildung als Pogrome. Das Wort komme aus dem Russischen und bedeute Verwüstung, Unwetter.